Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmissbräuchliche Vielfachabmahnung
Leitsatz (amtlich)
Eine Vielzahl von Abmahnungen gegenüber Wettbewerbern und die gerichtliche Verfolgung solcher Ansprüche kann rechtsmissbräuchlich sein, wenn den Abmahnungen einfach gelagerte und im Internet leicht zu ermittelnde Wettbewerbsverstöße, etwa Verstöße gegen die PreisAngV, zugrunde liegen, ein nachvollziehbares eigenes wirtschaftliches Interesse an dieser umfangreichen Abmahntätigkeit und Rechtsverfolgung aber unter Berücksichtigung der finanziellen Situation des Anspruchstellers und eines für diesen bestehenden hohen Kostenrisikos nicht erkennbar ist.
Weil der wirtschaftliche Vorteil einer solchen Abmahntätigkeit und Rechtsverfolgung im Wesentlichen auf Seiten des Rechtsanwalts des Abmahnenden in Form von Anwaltshonoraren eintritt, kann der Schluss gerechtfertigt sein, dass die Geltendmachung der Ansprüche vorwiegend dazu gedient hat, gegen den abgemahnten Wettbewerber einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen.
Lässt ein in dieser Weise rechtmissbräuchlich handelnder Wettbewerber nach einiger Zeit erneut Abmahnungen aussprechen, die zwar nicht die vormals als wettbewerbswidrig gerügten Rechtsverstöße betreffen, in ihrer Grundstruktur und ihrer wirtschaftlichen Bedeutung für den Anspruchsteller aber der früheren Abmahntätigkeit entsprechen, rechtfertigt dies auch dann den Schluss, dass die Grundlagen des Handelns des Anspruchstellers und die rechtsmissbräuchlichen Motive für seine Abmahntätigkeit unverändert geblieben sind, wenn die Anzahl der neuerlich abgemahnten Wettbewerbsverstöße deutlich zurückgegangen ist.
Für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten eines Wettbewerbers kann es indiziell auch sprechen, dass dieser eine notarielle Unterwerfungserklärung des Schuldners nicht "scharf" gestellt hat, also keinen Androhungsbeschluss nach §§ 890, 891 ZPO erwirkt hat.
Normenkette
UWG § 8 Abs. 4 S. 1, § 12 Abs. 1 S. 2; BGB § 826
Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 30.04.2015; Aktenzeichen 327 O 257/14) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Hamburg, ZK 27, vom 30.4.2015, Az.: 327 O 257/14, wird zurückgewiesen.
Von den in der Berufungsinstanz entstandenen Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten der Beklagten tragen die Klägerin und der Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner 35 % und die Klägerin weitere 65 %. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
Das vorliegende Urteil und das Urteil des LG Hamburg sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gegen dieses Urteil wird die Revision nicht zugelassen.
und beschließt:
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf insgesamt EUR 1.534,60 festgesetzt. Davon entfallen EUR 984,60 auf die Klage und EUR 550,00 auf die Wider- und Drittwiderklage.
Gründe
A. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Erstattung von Abmahnkosten in Höhe von EUR 984,60 nebst Zinsen in Anspruch. Die Beklagte macht widerklagend gegen die Klägerin und den Drittwiderbeklagten Kostenerstattung in Höhe von EUR 550,00 wegen der anwaltlichen Verteidigung gegen diese Abmahnung geltend.
Die Klägerin betreibt seit dem 1.10.2011 die Z-Apotheke in Hamburg. Zur ihrem Apothekensortiment gehören auch Produkte, die der Blasengesundheit dienen, z.B. Antibiotika. Die Beklagte betreibt einen Online-Shop unter www.b.-shop24.de, über den sie u.a. Nahrungsergänzungsmittel vertreibt. Der Drittwiderbeklagte ist Rechtsanwalt und vertritt die Klägerin seit mehreren Jahren bei der Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche.
Die Klägerin hat, vertreten durch den Drittwiderbeklagten, seit der Übernahme der Apotheke im Oktober 2011 zahlreiche wettbewerbsrechtliche Abmahnungen gegen Online-Händler aussprechen lassen und nachfolgend entsprechende gerichtliche Verfahren gegen die Abgemahnten geführt. In der Zeit von November 2011 bis Ende September 2012 wurden rund 80 Abmahnungen wegen unzureichender Grundpreisangaben beim Internetvertrieb von Eiweiß-Produkten ausgesprochen. Ab dem 1.10.2012 sind dann weitere 89 Abmahnungen ausgesprochen worden, und zwar überwiegend wegen unzureichenden Preisangaben beim Internetvertrieb von Artikeln der Sexualhygiene (Gleitgel).
Die Klägerin hat zudem insgesamt rund 90 gerichtliche Verfahren geführt. Im Rahmen der Verhandlung mehrerer Berufungssachen vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht am 19.2.2013 hat die Klägerin nach entsprechendem Hinweis des Senats bzgl. der Rechtsmissbräuchlichkeit ihres Vorgehens verfahrensbeendende Erklärungen abgegeben, insbesondere sind Antrags- und Klagerücknahmen erfolgt (vgl. Protokoll der Berufungsverhandlung vom 19.2.2013, Az. 3 U 140/12).
Die Klägerin hat keine Kostenbelastung durch diese Rücknahmen vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht erlitten. Diese Kosten sind von der Haftpflichtversicherung des Drittwiderbeklagten getragen worden, abzüglich eines Selbstbeteiligungsanteils des Drittwiderbeklagten in Höhe von EUR 2.500,00 (vgl. Anlage K 5 und 6).
Nachfolgend hat die Klägerin, vertreten d...