Entscheidungsstichwort (Thema)
Art. 1 Abs. 2 des EU-Beitrittsvertrag vom 16.4.2003 betreffend die erste Osterweiterung der Europäischen Union (Amtsblatt der Europäischen Union vom 23.9.2003, L 236, S. 17 ff.); Anhang IV Ziff. 2 der EU-Beitrittsakte 2003 zum EU-Beitrittsvertrag vom 16.4.2003 (Amtsblatt der Europäischen Union vom 23.9.2003, L 236, S. 33 ff., 797); PatG
Leitsatz (amtlich)
1. Das Tatbestandsmerkmal "eingetragen" stellt schon in der ursprünglichen deutschen Sprachfassung des Besonderen Mechanismus auf die "Beantragung", also "Anmeldung" des Patents oder Ergänzenden Schutzzertifikats ab.
2. Der Schutzrechtsinhaber, der auf eine im Hinblick auf den Besonderen Mechanismus erfolgende Schutzrechtsanfrage des Parallelimporteurs mitteilt, dass der Besondere Mechanismus eingreife, ist zur Vermeidung von Rechtsverlusten nicht verpflichtet, darüber hinaus das Schutzrecht, auf welches er seine Rechte aus dem Besonderen Mechanismus stützt, konkreter, insbesondere unter Angabe der Registernummer zu benennen.
Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 13.03.2008; Aktenzeichen 315 O 339/07) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Hamburg, ZK 15, vom 13.3.2008 - 315 O 339/07, wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung fallen der Klägerin zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v 110 % des aus diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor Beginn der Vollstreckung Sicherheit i.H.v 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gegen dieses Urteil wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Anwendbarkeit des sog. Besonderen Mechanismus auf das Arzneimittel "Neurontin".
Die Beklagte gehört zum weltweit größten Pharmaunternehmen P.. Sie vertreibt in Deutschland die Arzneimittel des P.-Konzerns, u.a. das Präparat "Neurontin".
Die Klägerin ist als Parallelimporteurin von Arzneimitteln tätig. Sie bringt in der Bundesrepublik Deutschland umkonfektionierte Arzneimittel auf den Markt, die zuvor von der Fa.M. GmbH aus dem EU-Ausland nach Deutschland importiert werden.
Bei dem Besonderen Mechanismus handelt es sich um eine Regelung aus dem EU-Beitrittsvertrag vom 16.4.2003 betreffend die erste Osterweiterung der Europäischen Union. Mit dieser Osterweiterung traten die Staaten Estland, Lettland, Litauen, Polen, Ungarn, Tschechien, Slowenien, die Slowakei, Malta und Zypern der Europäischen Union bei (Amtsblatt der Europäischen Union vom 23.9.2003, L 236, S. 17 ff.). Gemäß Art. 1 Abs. 2 des EU-Beitrittsvertrages wurden die Aufnahmebedingungen und die aufgrund der Aufnahme erforder-lichen Anpassungen der die Union begründenden Verträge in der dem EU-Beitrittvertrag beigefügten Akte (sog. EU-Beitrittsakte 2003) festgelegt (Amtsblatt der Europäischen Union vom 23.9.2003, L 236, S. 33 ff.).
Der Besondere Mechanismus ("Spezifische Mechanismus") ist in Ziff. 2 des Anhangs IV (= Liste zu Art. 22 der EU-Beitrittsakte 2003/vgl. Amtsblatt der Europäischen Union vom 23.9.2003, L 236, S. 797) geregelt. Hintergrund dieser Regelung ist, dass die im Rahmen der EU-Osterweiterung beigetretenen Mitgliedsstaaten überwiegend kein dem westeuropäischen Standard entsprechendes Patentrecht, insbesondere keine Erzeugnispatente kannten. Weil aber durch den Beitritt der neuen Mitgliedsstaaten bei einem Inverkehrbringen durch den Patentinhaber in einem der neuen Mitgliedsstaaten grundsätzlich Erschöpfung der Patenrechte eintreten würde, der Patentinhaber mithin nicht unter Berufung auf das Patent einen Parallelimport in die alten Mitgliedsstaaten hätte verhindern können, wurde die im EG-Vertrag verankerte Warenverkehrsfreiheit zugunsten der Schutzrechtinhaber von Arzneimitteln durch den "Besonderen Mechanismus" eingeschränkt. Er ist auf die Staaten Estland, Lettland, Litauen, Polen, Ungarn, Tschechien, Slowenien und die Slowakei beschränkt. Im Hinblick auf die Staaten Malta und Zypern wurde keine Sonderregelung getroffen.
Der Besondere Mechanismus lautet in der ursprünglichen deutschen Sprachfassung, jedoch ohne die nachfolgend vorgenommene Unterstreichung, (Amtsblatt der Europäischen Union vom 23.9.2003, L 236, S. 797/Anlage K 1) wie folgt:
"Im Falle der Tschechischen Republik, Estlands, Lettlands, Litauens, Ungarns, Polens, Sloweniens oder der Slowakei kann sich der Inhaber eines Patents oder eines Ergänzenden Schutzzertifikats für ein Arzneimittel, das in einem Mitgliedsstaat zu einem Zeitpunkt eingetragen wurde, als ein entsprechender Schutz für das Erzeugnis in einem der vorstehenden neuen Mitgliedsstaaten nicht erlangt werden konnte, [...] auf die durch das Patent oder das Ergänzende Schutzzertifikat eingeräumten Rechte berufen, um zu verhindern, dass das Erzeugnis in Mitgliedsstaaten, in denen das betreffende Erzeugnis durch ein Patent oder Ergänzendes Schutzzertifikat geschützt ist, eingeführt und dort in Verkehr gebracht wird; die...