Leitsatz (amtlich)
1) Der Beschluss des AG, durch den im Hinblick auf die Verlegung des Betroffenen in eine andere JVA das Verfahren an das für den Haftort zuständige AG abgegeben wird, ist als uneingeschränkte Abgabe des Verfahrens und nicht nur desjenigen über einen erwarteten Verlängerungsantrag zu verstehen. Dies gilt insbesondere, wenn gleichzeitig noch über einen Haftaufhebungsantrag (§ 426 FamFG) zu entscheiden ist.
2) Der Wechsel der örtlichen Zuständigkeit tritt ein, wenn der Richter des aufnehmenden AG die Sache für dieses Gericht übernimmt. Ein von ihm erklärter Vorbehalt hinsichtlich der Zuständigkeit des Beschwerdegerichts zur Entscheidung über ein noch anhängiges Rechtsmittel gegen eine Entscheidung des abgebenden Gerichts ist in diesem Zusammenhang unbeachtlich.
3) Die Bindungswirkung der Abgabe (§ 106 Abs. 2 S. 2 AufenthG) kann bei einer Verlegung des Betroffenen in eine andere JVA nicht unter Hinweis auf Willkürlichkeit übergangen werden.
Normenkette
AufenthG § 106 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
LG Paderborn (Beschluss vom 10.05.2010; Aktenzeichen 9 T 56/09) |
LG Dortmund (Aktenzeichen 9 T 36/10) |
Tenor
Als örtlich zuständiges Beschwerdegericht wird das LG Dortmund bestimmt.
Gründe
I. Das AG Paderborn hat mit Beschluss vom 9.10.2009 die erstmals am 11.1.2009 durch das AG Essen gegen den Betroffenen angeordnete und seither mehrfach verlängerte Abschiebungshaft - Sicherungshaft - um drei Monate bis zum 8.1.2010 verlängert. Seit dem 11.1.2009 befand sich der Betroffene zunächst zur Vollstreckung der Haft in der Justizvollzugsanstalt C. Am 23.11.2009 ist er der Justizvollzugsanstalt E2 zur weiteren Vollstreckung der Abschiebungshaft zugeführt und am 5.1.2010 nach Tunesien abgeschoben worden.
Gegen den Beschluss des AG Paderborn vom 9.10.2009 richtet sich die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 2) vom 15./22.10.2009. Ferner liegt ein Antrag des Beteiligten zu 2) vom 28.10.2009 auf Aufhebung der Abschiebungshaft vor. Das AG hat die Akten zunächst dem LG Paderborn zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde vorgelegt. Dieses hat das Verfahren im Hinblick auf die im Landgerichtsbezirk Dortmund vollstreckte Abschiebungshaft mit Beschluss vom 26.11.2009 an das LG Dortmund als Beschwerdegericht abgegeben. Das LG Dortmund hat am 7.12.2009 eine Übernahme des Verfahrens abgelehnt und dieses an das LG Paderborn zurückgegeben. Mit Beschluss vom 15.12.2009 hat sodann das AG Paderborn das Verfahren gem. § 106 Abs. 2 S. 2 AufenthG an das AG Dortmund abgegeben, welches die Akten nach Eintragung des Verfahrens - Verfügung vom 30.12.2009 - dem LG Dortmund als Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt hat. Dieses hat mit Beschluss vom 4.2.2010 eine Übernahme des Beschwerdeverfahrens erneut abgelehnt. Hierauf hat das LG Paderborn die Sache am 10.5.2010 dem OLG zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
II. Der Senat ist nach §§ 5 Abs. 1 Nr. 2, 415 FamFG, 106 Abs. 2 S. 1 AufenthG zur Entscheidung über die örtliche Zuständigkeit berufen.
Die Vorlagevoraussetzungen sind gegeben. Eine Entscheidung des Senats ist im Hinblick darauf veranlasst, dass aus sonstigen tatsächlichen Gründen eine Ungewissheit über die örtliche Zuständigkeit besteht. Die Vorschrift des § 5 FamFG ist auch anwendbar, wenn sich LG als Beschwerdegerichte nicht über die örtliche Zuständigkeit einigen können. Die zu bestimmende örtliche Zuständigkeit leitet sich in diesem Falle nach der Gerichtsverfassung von der des Eingangsgerichts ab (vgl. OLG Düsseldorf FGPrax 2007, 245; Keidel/Sternal, FamFG, Komm., 16. Aufl., § 5 Rz. 24).
Als örtlich zuständiges (Beschwerde-) Gericht ist vorliegend das LG Dortmund zu bestimmen.
Zunächst war das AG Paderborn für die Entscheidung über die von dem Beteiligten zu 3) am 30.9.2009 beantragte gerichtliche Anordnung der Fortdauer der Abschiebungshaft gem. §§ 416 S. 2, 425 Abs. 3 FamFG örtlich zuständig. Hiervon leitete sich die Zuständigkeit des LG Paderborn als des nach der Gerichtsverfassung übergeordneten (Beschwerde-) Gerichts ab. Daran änderte die Zuführung des Betroffenen in die Justizvollzugsanstalt E2 zunächst nichts, § 2 Abs. 1 u. 2 FamFG.
Indessen ist die örtliche Zuständigkeit des AG Dortmund dadurch begründet worden, dass das AG Paderborn durch Beschluss vom 15.12.2009 gem. § 106 Abs. 2 S. 2 AufenthG das Verfahren an das AG Dortmund abgegeben hat. Nach dieser Vorschrift kann, wenn über die Fortdauer der Abschiebungshaft zu entscheiden ist, das AG das Verfahren durch unanfechtbaren Beschluss an das Gericht abgeben, in dessen Bezirk die Abschiebungshaft jeweils vollzogen wird. Es handelt sich um eine Sondervorschrift zu der allgemeinen Vorschrift des § 4 FamFG über die Möglichkeit der Abgabe des Verfahrens aus wichtigem Grund, die nunmehr auch für Freiheitsentziehungssachen nach den §§ 415 ff. FamFG gilt. Folglich sind auch im Freiheitsentziehungsverfahren für das Wirksamwerden einer Abgabe die allgemeinen Grundsätze zu beachten. Deren Berücksichtigung führt hier zu dem Ergebnis, dass die Abgabe bereits am 30.1...