Leitsatz (amtlich)
Zum (verneinten) Absehen vom Fahrverbot bei einem Betroffenen, der zu 50 % schwer behindert und verkehrsrechtlich bisher in 37 Jahren Fahrpraxis nicht in Erscheinung getreten ist.
Verfahrensgang
AG Lüdenscheid (Entscheidung vom 17.07.2006) |
Tenor
Dem Betroffenen wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 12. Juli 2006 gewährt.
Der Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gegen den Beschluss des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 05. September 2006 ist gegenstandslos.
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird auf Kosten des Betroffenen verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den verwitweten Betroffenen, der zu 50 % schwer behindert und verkehrsrechtlich bisher nicht in Erscheinung getreten ist sowie über eine monatliche Rente von ca. 950 EUR verfügt, wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen die §§ 37 Abs. 2, 1 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2 StVO, 24, 25 StVG zu einer Geldbuße von 125 EUR verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Hiergegen richtet sich die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt worden ist.
II.
Dem Betroffenen war wegen der Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gegen das angefochtene Urteil nach den §§ 44, 45 StPO in Verbindung mit § 79 Abs. 3 OWiG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist der §§ 345 Abs. 1 StPO, 79 Abs. 3 OWiG beruht nicht auf einem Verschulden des Betroffenen, sondern - wie der Verteidiger des Betroffenen glaubhaft gemacht hat - entweder auf einem Versehen des Büros des Verteidigers oder auf einem Fehler bei der Postzustellung. Beides ist dem Betroffenen nicht zuzurechnen.
Damit war der gemäß § 346 Abs. 1 StPO, 79 Abs. 3 OWiG gestellte Antrag des Betroffenen auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gegen den Beschluss des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 5. September 2006 gegenstandslos.
III.
Nach Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist des § 345 Abs. 2 StPO ist das Rechtsmittel zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Die Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch ist wirksam. Die vom Amtsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes mit Unfall.
Auch der Rechtsfolgenausspruch ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Erwägungen, auf Grund derer das Amtsgericht von der Verhängung eines einmonatigen Fahrverbots nicht abgesehen hat, halten einer rechtlichen Nachprüfung stand.
Zutreffend ist zunächst die Annahme des Amtsgerichts, dass ein so genanntes "Augenblicksversagen" im Sinne der Rechtsprechung des BGH nicht vorliegt (vgl. dazu Deutscher, Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, Rn. 809 ff. mit weiteren Nachweisen). Nach den getroffenen Feststellungen zeigte die für den Betroffenen geltende Lichtzeichenanlage bereits 20 Sekunden Rotlicht als der Betroffene in die Kreuzung einfuhr und den Verkehrsunfall verursacht hat.
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde sind auch - erhebliche - Besonderheiten, die gemäß § 4 Abs. 4 BKatV Anlass geben könnten, von der daher regelmäßig gebotenen Anordnung eines Fahrverbots im vorliegenden Fall abzusehen, den Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht zu entnehmen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der festgestellte Lebenssachverhalt zugunsten des Betroffenen so erhebliche Abweichungen vom Normalfall aufwies, dass die Annahme eines Ausnahmefalls gerechtfertigt ist und die Verhängung eines Fahrverbots trotz der groben bzw. beharrlichen Pflichtverletzung unangemessen wäre, wobei das Vorliegen erheblicher Härten oder eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher oder durchschnittlicher Umstände ausreicht. Einen solchen Ausfall kann insbesondere der drohende Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust der sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage begründen (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 1. Juni 2006 - 2 Ss OWi 262/06 - mit weiteren Nachweisen). Er kann aber auch in sonstigen Erschwernissen des Betroffenen liegen, die allein oder in ihrer Gesamtheit den Grad einer erheblichen Härte erreichen (vgl. dazu eingehend Deutscher, a.a.O., Rn. 759 ff.).
Das Amtsgericht hat seine Entscheidung, von einem Fahrverbot nicht absehen zu wollen, wie folgt begründet:
"Die vom Betroffenen aufgeführten Umstände, dass er seit 37 Jahre Auto fahre, zu 50 % gehbehindert sei, und seine Wohnung 500 m von einer Bushaltestelle entfernt auf einem Berg liege, und Fahrten zum Einkaufen mit einem Taxi zu teuer seien, und zudem der Vorfall bereits über ein Jahr zurückliege, beinhalten keine erhebliche Härte oder besondere Umstände, die ein Absehen vom Regelfahrverbot ggf. auch unter Erhöhung der Geldbuße rechtfertigen. Dem Betroffenen ...