Leitsatz (amtlich)
1. § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB läßt die Erteilung einer richterlichen Genehmigung für die Erzwingung eines wiederholten kurzfristigen Aufenthalts des Betroffenen in einer psychiatrischen Klinik mit lediglich freiheitsbeschränkender Wirkung zur Verabreichung eines Depotneuroleptikums zu, wenn diese Maßnahme sich in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als minder schwerer Eingriff gegenüber einer sonst erforderlichen längerfristigen geschlossenen Unterbringung mit freiheitsentziehender Wirkung darstellt.
2. In einem solchen Fall darf die richterliche Genehmigung nicht erteilt werden, ohne daß gleichzeitig geprüft wird, ob die ärztliche Behandlung nach § 1904 Abs. 1 S. 1 BGB einer Genehmigung bedarf.
3. Im Hinblick auf die abweichende Rechtsauffassung des OLG Zweibrücken (FGPrax 2000, 24) wird die Sache gem. § 28 Abs. 2 FGG dem BGH zur Entscheidung vorgelegt.
Normenkette
BGB § 1906 Abs. 1 Nr. 2, § 1904 Abs. 1. S. 1
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Gerichtsbescheid vom 27.01.2000; Aktenzeichen 25 T 59/00) |
AG Bielefeld (Gerichtsbescheid vom 13.01.2000; Aktenzeichen 2 XVII F 13) |
Tenor
Die Sache wird gem. § 28 Abs. 2 FGG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.
Gründe
I.
Der Betroffene ist der jüngste von vier Söhnen der Eheleute … aus …. Beide Eltern sind verstorben, der Vater am … 1980, die Mutter am … 1990. Beide Elternteile sind jeweils nach gesetzlicher Erbfolge beerbt worden.
Der Betroffene hat nach dem an einer Gesamtschule abgelegten Abitur etwa im Jahre 1983 an der Universität … das Studium der Soziologie aufgenommen, dieses jedoch nicht zielstrebig verfolgt und später abgebrochen. Spätestens seit dem Jahre 1986 wurde bei dem Betroffenen eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis festgestellt, deren Verlauf sich in den folgenden Jahren chronifiziert hat. In den Jahren 1986 und 1987 kam es zunächst auf freiwilliger Grundlage, im Jahre 1988 auf der Grundlage des PsychKG zu mehrmonatigen stationären Behandlungen des Betroffenen in der Psychiatrischen Klinik Gilead IV in Bielefeld. Aus Anlaß einer geschlossenen Unterbringung des Betroffenen, die ab dem 23.05.1989 auf der Grundlage des PsychKG erfolgt war, ordnete das Amtsgericht durch Beschluß vom 22.07.1989 für ihn eine Pflegschaft mit den Wirkungskreisen Bestimmung des Aufenthalts und Besorgung der Vermögensangelegenheiten an. Der Wirkungskreis wurde durch weiteren Beschluß des Amtsgerichts vom 01.03.1990 auf die Einwilligung in die Behandlung mit Psychopharmaka erweitert. Als Pfleger wurde zunächst ein Rechtsanwalt, später eine Tante des Betroffenen bestellt. Nach Überleitung der Pflegschaft in eine Betreuung entließ das Amtsgericht durch Beschluß vom 14.11.1996 die bisherige Betreuerin und bestellte den Beteiligten zu 2) zum neuen Betreuer des Betroffenen mit den bisherigen Aufgabenkreisen. Durch weiteren Beschluß vom 08.01.1998 ordnete das Amtsgericht ergänzend für den Aufgabenkreis der Wahrnehmung der Vermögensangelegenheiten einen Einwilligungsvorbehalt an.
In dem Zeitraum seit der Einrichtung der Pflegschaft hat das Amtsgericht wiederholt dem Pfleger bzw. Betreuer die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung zur geschlossenen Unterbringung des Betroffenen in der Klinik Gilead IV zur stationären psychiatrischen Behandlung erteilt. Daneben sind wiederholt Unterbringungsanordnungen auf der Grundlage des PsychKG erfolgt. Für den genannten Zeitraum bis einschließlich des Jahres 1999 ergeben sich ohne Anspruch auf Vollständigkeit im Hinblick auf etwaige weitere Unterbringungen nach dem PsychKG insgesamt 24 Entscheidungen dieser Art. Seit Beginn der stationären Behandlung lehnt der Betroffene die von den Fachärzten für erforderlich gehaltene Dauermedikation mit Neuroleptika vollständig ab. Die Entlassung des Betroffenen hat deshalb jeweils zur Unterbrechung der Medikation und in deren Folge nach einem kürzeren oder längeren Zeitraum zum Auftreten eines akuten Schubs seiner psychotischen Erkrankung geführt. In den Dekompensationsphasen seiner Erkrankung wurde jeweils eine erneute geschlossene Unterbringung erforderlich, teilweise wegen Fremdaggressivität des Betroffenen, teilweise wegen einer erheblichen Eigengefährdung durch akute Verwahrlosung. Dem Betroffenen stand in den Zeiträumen nach Beendigung stationärer Klinikaufenthalte in dem zum Nachlaß seiner Eltern gehörenden Haus … in Bielefeld eine Wohnung zur Verfügung, die mehrfach wegen völliger Verwahrlosung durch den Betroffenen, u. a. auch Verursachung von Verseuchung und Brandgefahr durch Beschädigung von Elektrokabeln, renoviert werden mußte. Der Beteiligte zu 2) hat mit am 11.05.1998 erteilter vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung den Erbteil des Betroffenen veräußert. Der dem Vermögen des Betroffenen zugeflossene Gegenwert ist im Hinblick auf seine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit seine alleinige Lebensgrundlage. Der Betroffene hat im Jahre 1998 in einer städtischen Unterkunft gewohnt, war dann vorübergehend obdachlos und bewohnt nunmehr ein von dem Beteiligten zu 2) für ihn,...