Leitsatz (amtlich)

Das Überholen eines anderen Fahrzeugs bei gleichzeitiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit verstößt für sich genommen nicht gegen §§ 5 Abs. 2 S. 2; 49 Abs. 1 Nr. 5 StVO.

 

Verfahrensgang

AG Gütersloh (Aktenzeichen 12 OWi 64 Js 674/06 - AK 138/06)

 

Tenor

  • 1.

    Die Sache wird dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

  • 2.

    Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

  • 3.

    Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere für Bußgeldsachen zuständige Abteilung des Amtsgerichts Gütersloh zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Gütersloh hat den Betroffenen wegen der fahrlässigen Begehung einer Ordnungswidrigkeit gem. §§ 1 Abs. 2, 5 Abs. 2, 41 Abs. 2 (Zeichen 274), 41 Abs. 3 (Zeichen 295/296), 49 StVO, § 24 StVG zu einer Geldbuße in Höhe von 150,00 EUR verurteilt. Es hat gegen ihn ferner ein Fahrverbot von einem Monat unter Gewährung der Frist gem. § 25 Abs. 2a StVG verhängt.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der - bereits mehrfach wegen Verkehrsverstößen ordnungswidrigkeitenrechtlich belangte - Betroffene am 28.12.2005 Nachts, bei einsetzendem Schneefall, als Führer eines PKW in H die B## in Fahrtrichtung C. Hinter der Kreuzung Q-Straße/I-Straße, wo sich die bis dahin in jede Fahrtrichtung zweispurige Straße auf jeweils eine Spur verengt und wo eine Geschwindigkeit von 50 km/h zugelassen ist, begann der Betroffene ein Zivilfahrzeug der Polizei zu überholen. Dieses befand sich auf dem Weg zu einem Einsatz wegen einer Straftat. Bei dem Überholvorgang überfuhr er eine schraffierte Fläche sodann eine Linksabbiegerspur und blieb anschließend zunächst auf der Gegenfahrbahn. Der Betroffene soll bei dem Überholvorgang eine Geschwindigkeit von mindestens 71 km/h gehabt haben.

Im Urteil führt das Amtsgericht u. a. aus:

"Weiterhin hat der Betroffene gegen § 5 Abs. 2 StVO verstoßen, indem er an dieser Stelle mit der ihm vorgeworfenen Geschwindigkeit überholt hat.

Nach dieser Vorschrift darf nur überholen, wer mit wesentlich höherer Geschwindigkeit als der zu Überholende fährt. Das bedeutet aber auch, dass nicht überholt werden darf, wenn mit dem Überholvorgang die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten werden müsste. Die Begrenzung der Geschwindigkeit wirkt sich daher faktisch als Überholverbot aus, wenn die Geschwindigkeit eines Rechtsfahrenden ein Überholen mit höherer Geschwindigkeit nicht zulässt (Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, 9. Aufl. 2006, § 5 StVO, RdNr 23 m. w. N.)".

Gegen das Urteil hat der Betroffene form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde erhoben, die er mit einer Verletzung materiellen Rechts begründet. Gegen die Kostenentscheidung hat er ebenfalls "Rechtsmittel" eingelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat beantragt, dieRechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Sache war dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen, da dies zur Fortbildung des Rechts geboten war. Die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Frage, ob in Fällenden wie dem vorliegenden auch § 5 Abs. 2 S. 2 StVO zum Tragen kommt, weil die Vorschrift sich "faktisch wie ein Überholverbot" auswirke, oder ob die Vorschrift nur dann Anwendung findet, wenn der Betroffene nicht mit wesentlich höherer Geschwindigkeit als der zu Überholende fährt (was hier nicht festgestellt ist), ist - soweit ersichtlich - bisher noch nicht obergerichtlich geklärt.

Dies ist eine Entscheidung des Einzelrichters des Senats.

III.

Die Rechtsbeschwerde hat in vollem Umfang Erfolg.

1.

Die Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen § 5 Abs. 2 S. 2 StVO i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 5 StVO i. V.m. § 24 StVG bei gleichzeitiger Verurteilung des Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen § 41 Abs. 2, Zeichen 274 i.V.m. § 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO i. V.m. § 24 StVG hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1.

Nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 StVO handelt ordnungswidrig, wer gegen die Vorschrift über das Überholen (u.a.) nach § 5 Abs. 2 S. 2 StVO verstößt. Ein solcher Verstoß ist hier nicht hinreichend festgestellt.

Nach § 5 Abs. 2 S. 2 StVO muss die Überholgeschwindigkeit wesentlich höher sein als die des Überholten. das Amtsgericht hat hier lediglich festgestellt, dass der Betroffene "keinesfalls langsamer als 70 km/h" (UA S. 4) gefahren sei, das überholte Zivilfahrzeug der Polizei mit einer "Geschwindigkeit von mindestens 70 km/h, eher mehr" (UA S. 2).

Die Ansicht des Amtsgerichts, dass eine Bußgeldsanktionierung nach §§ 5 Abs. 2 S. 2, 49 Abs. 1 Nr. 5 StVO auch dann in Betracht komme, wenn sich eine Geschwindigkeitsbeschränkung faktisch wie ein Überholverbot auswirke, wenn ein Überholendes vorausfahrenden Fahrzeugs ohne Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht möglich sei, ist rechtsfehlerhaft. In einer Reihe zivilrechtlicher Entscheidungen wird zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass ein Überholen zu unterbleiben hat, wenn dies nicht ohne Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit m...

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