Leitsatz (amtlich)

1. Bei Unaufklärbarkeit des Unfallgeschehens hinsichtlich einer bestimmten Tatsache kann dies bei § 17 Abs. 2 StVG und § 17 Abs. 3 StVG sowie innerhalb von § 17 Abs. 2 StVG zu wechselnden Beweislastentscheidungen führen, so hier bezüglich der streitigen Tatsache des rechtzeitigen Setzens des Fahrtrichtungsanzeigers beim Abbiegen aus der linken von zwei Fahrspuren in ein Grundstück.

2. Die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Auffahrenden kann bei einem besonders gefährlichen Fahrmanöver des Vorausfahrenden vollständig hinter dessen Verursachungs- und Verschuldensbeiträgen sowie der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs zurücktreten, so hier beim Abbiegen aus der linken von zwei Fahrspuren in ein Grundstück.

 

Verfahrensgang

LG Bochum (Aktenzeichen 5 O 154/18)

 

Tenor

Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufung gegen das am 20.05.2020 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Bochum (Az. 2 O 154/18) gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Die Sache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung ist zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich; die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist nicht geboten, § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1-4 ZPO.

Der Klägerin wird Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 3 Wochen nach Zugang dieses Beschlusses gegeben.

 

Gründe

I. Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Zwar nicht mit tragfähiger Begründung, aber im Ergebnis zurecht hat das Landgericht die Klage abgewiesen.

Die Einwendungen der Klägerin, bezüglich derer zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Berufungsbegründung (GA 323 ff.) verwiesen wird, greifen daher jedenfalls im Ergebnis nicht durch.

1. Allerdings ist der Berufung zuzugestehen, dass sich der Unfall für den Beklagten zu 1 nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme (noch) nicht als unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG qualifizieren lässt.

Den Beweis für die Unabwendbarkeit des Unfallgeschehens muss jeweils die Partei führen, die sich darauf beruft (siehe nur Senat Beschl. v. 16.6.2020 - 7 U 96/18, MDR 2020, 1315 = juris Rn. 30 m. w. N.), hier also die Beklagten.

Diesen Beweis haben sie (bisher) nicht geführt, da nach der landgerichtlichen Beweisaufnahme weder feststeht noch ausgeschlossen ist, dass die Führerin des klägerischen Fahrzeugs den Fahrtrichtungsanzeiger (rechtzeitig) nach rechts gesetzt hatte.

2. Jedoch ist eine Haftung der Beklagten im Hinblick auf § 17 Abs. 2 und Abs. 1 StVG ausgeschlossen, weil die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs vorliegend vollständig hinter der Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs und dem Verursachungsbeitrag der Führerin des klägerischen Fahrzeugs zurücktritt.

a) Die gemäß § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG erforderliche Abwägung ist aufgrund aller feststehenden, d. h. unstreitigen, zugestandenen oder bewiesenen Umstände vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben. In erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben. Ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Verschulden (BGH Urt. v. 15.5.2018 - VI ZR 231/17, r+s 2018, 447 Rn. 10; Senat Beschl. v. 16.6.2020 - 7 U 96/18, MDR 2020, 1315 = juris Rn. 38 m. w. N.).

Nach allgemeinen Beweisgrundsätzen hat dabei jeweils der eine Halter die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen; für Verschuldensvermutungen ist dabei kein Raum (BGH Urt. v. 13.2.1996 - VI ZR 126/95, r+s 1996, 174 = juris Rn. 11; vgl. BGH Urt. v. 13.2.2007 - VI ZR 58/06, r+s 2007, 211 Rn. 6). Im Einzelfall kann aber ein Anscheinsbeweis in Betracht kommen (vgl. BGH Urt. v. 13.2.1996 - VI ZR 126/95, r+s 1996, 174 = juris Rn. 14; BGH Urt. v. 13.2.2007 - VI ZR 58/06, r+s 2007, 211 Rn. 7).

Bei Unaufklärbarkeit des Unfallgeschehens hinsichtlich einer bestimmten Tatsache kann dies bei § 17 Abs. 2 StVG und § 17 Abs. 3 StVG sowie innerhalb von § 17 Abs. 2 StVG zu wechselnden Beweislastentscheidungen führen (vgl. OLG München Urt. v. 29.10.2010 - 10 U 2996/10, BeckRS 2010, 26812 = juris Rn. 31; Kirchhoff, MDR 1998, 12 [14]; Scholten in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 17 StVG [Stand: 28.03.2018], § 17 Rn. 58).

Der Beweis ist nach § 286 ZPO zu führen (BGH Urt. v. 15.5.2018 - VI ZR 231/17, r+s 2018, 447 Rn. 10). Im Rahmen des § 286 ZPO hat der Richter seiner Überzeugungsbildung zu Grunde zu legen, dass es dafür keiner absoluten oder unumstößlichen Gewissheit im Sinne des wissenschaftlichen Nachweises, sondern nur eines für das praktische Leben brauchbaren Grades von Gewissheit bedarf, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH Urt. v. 17.9.2019 - VI ZR 396/18, r+s 2020, 50 Rn. 13; vgl. BGH Beschl. v. 18.1.2012 - IV ZR 116/11, VersR 2012, 849 Rn. 9).

b) Vorliegend hat die Führerin des klägerischen Fahrzeugs gegen § 7 Abs. 5 Satz 1, § 9 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1, §...

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Gold enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge