Leitsatz (amtlich)

Die Frage, ob das Persönlichkeitsrecht eines Schülers durch den Zwang zur Teilnahme am Sexualkundeunterricht verletzt werden kann, ist in Rechtsprechung und Literatur ausreichend geklärt.

 

Verfahrensgang

AG Paderborn (Entscheidung vom 05.09.2006)

 

Tenor

Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wird verworfen, da es nicht geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur hier allein zulässigen Fortbildung des materiellen Rechts zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1, 2, 4 Satz 3 OWiG).

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt der Betroffene (§§ 46 OWiG, 473 Abs. 1 StPO).

Zusatz: Die mit der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen sind verfassungs- und obergerichtlich hinreichend geklärt. Insbesondere besteht kein Anlaß, die Rechtsbeschwerde zur Klärung der aufgeworfenen Frage, ob das Persönlichkeitsrecht eines Schülers durch den Zwang zur Teilnahme am Sexualkundeunterricht verletzt werden könne, wenn dieser "die abstrakte Vermittlung von Wissen im Bereich der menschlichen Sexualität" beinhalte, zuzulassen. Die Glaubensfreiheit und das Erziehungsrecht der Eltern werden durch die allgemeine Schulpflicht in zulässiger Weise beschränkt (vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss v. 31.05.2006 in 2 BvR 1693/04 = FamRZ 2006, 1094; OLG Hamm, Beschl. v. 11.05.2004 - 4 Ss OWi 774/03 -; v. 04.03.2002 - 3 Ss OWi 1290/00 -; BayVerfGH, DVBI. 2003, 346 L; VGH Mannheim, NVwZ-RR 2003, 561; OLG Frankfurt, NStZ-RR 2001, 25). Die allgemeine Schulpflicht dient als geeignetes und erforderliches Instrument dem legitimen Ziel der Durchsetzung des staatlichen Erziehungsauftrags. Dieser Auftrag richtet sich nicht nur auf die Vermittlung von Wissen und die Erziehung zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit. Er richtet sich auch auf die Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger, die gleichberechtigt und verantwortungsbewusst an den demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft teilhaben. Soziale Kompetenz im Umgang auch mit Andersdenkenden, gelebte Toleranz, Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung einer von der Mehrheit abweichenden Überzeugung können effektiver eingeübt werden, wenn Kontakte mit der Gesellschaft und den in ihr vertretenen unterschiedlichen Auffassungen nicht nur gelegentlich stattfinden, sondern Teil einer mit dem regelmäßigen Schulbesuch verbundenen Alltagserfahrung sind. Die Allgemeinheit hat ein berechtigtes Interesse daran, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten "Parallelgesellschaften" entgegenzuwirken und Minderheiten zu integrieren. Integration setzt dabei nicht nur voraus, dass die Mehrheit der Bevölkerung religiöse oder weltanschauliche Minderheiten nicht ausgrenzt; sie verlangt auch, dass diese sich selbst nicht abgrenzen und sich einem Dialog mit Andersdenkenden und -gläubigen nicht verschließen (vgl. BVerfG-K 1, 141, 143).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2577028

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