Leitsatz (amtlich)
Bei einer Manipulation an der Wirbelsäule ist über das Risiko der Einblutung aufzuklären. Erfordert diese Blutung als subdurales Hämatom eine Operation, können dem Arzt / Chiropraktiker auch die Folgen der Operation zuzurechnen sein. Bei einer inkompletten Querschnittslähmung kann ein Schmerzensgeld von 150.000,- EUR angemessen sein.
Normenkette
BGB §§ 253, 280, 823
Verfahrensgang
LG Paderborn (Aktenzeichen 4 O 365/17) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 11. März 2019 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 150.000 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. Dezember 2017 zu zahlen.
Der Beklagte wird ferner verurteilt, an den Rechtsschutzversicherer des Klägers, die E, zur Leistungsnummer 01 4.207,84 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. Januar 2021 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle materiellen und alle künftigen, nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen, welche aus der Behandlung des Beklagten vom 19. Oktober 2015 resultieren, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
Die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der Kosten der Streithelferinnen tragen der Kläger zu 43 % und der Beklagte zu 57 %. Die Kosten der Streithelferin des Klägers tragen zu 57 % der Beklagte und im Übrigen diese selbst. Die Kosten der Streithelferin des Beklagten tragen zu 43 % der Kläger und im Übrigen diese selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Den Parteien wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger nimmt den Beklagten, der als Facharzt für Allgemeinmedizin niedergelassen ist, wegen rechtswidriger chirotherapeutischer Behandlung auf Zahlung von Schmerzensgeld in Anspruch. Er verlangt ferner Erstattung von vorprozessual entstandenen Rechtsanwaltskosten und begehrt die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle materiellen und - soweit noch nicht vorhersehbar - künftigen immateriellen Schäden.
Der am 00.00.1967 geborene Kläger war 2015 als Lagerlogistiker angestellt. Er suchte am 19. Oktober 2015 um 8.39 Uhr wegen seit mehreren Tagen andauernder Rückenschmerzen die Praxis seines Hausarztes auf. Da dieser sich in Urlaub befand, wurde der Kläger von dem ebenfalls in den Praxisräumen tätigen Beklagten chirotherapeutisch behandelt. Dem Beklagten war dabei bekannt, dass der Kläger das Medikament N einnahm. Die Behandlung des Beklagten verbesserte zwar zunächst die Beweglichkeit des Klägers, was auch in den Krankenunterlagen festgehalten wurde. Als der Kläger aber nach Hause zurückgekehrt war, traten intensive Schmerzen auf. Mit Hilfe seiner Ehefrau stellte sich der Kläger um 11.00 Uhr erneut bei dem Beklagten vor. Dieser überwies den Kläger in die Einrichtung der Streithelferin des Beklagten, wo sich nach stationärer Aufnahme des Klägers bei einer CT des Brustkorbes der Verdacht auf eine Einblutung ergab. Am 21. Oktober 2015 wurde der Kläger in die Einrichtung der Streithelferin des Klägers verlegt. Dort wurde bei einer ergänzenden MRT-Untersuchung ein subdurales Hämatom ventral im Bereich des Spinalkanals in Höhe BWK 3/4 festgestellt. Am 23. Oktober 2015 wurde der Kläger zur weiteren Diagnostik in der Klinik für Neurochirurgie der Universitätsmedizin H aufgenommen. Das subdurale Hämatom wurde durch eine dort veranlasste MRT-Bildgebung bestätigt und am 25. Oktober 2015 wurden eine Hemilaminektomie und eine Hämatomevakuation durchgeführt. Nach Auftreten von neurologischen Ausfallerscheinungen erfolgten am 28. und 29. Oktober 2015 Liquorentlastungspunktionen. Am 10. November 2015 wurde der Kläger zur Therapierung einer postoperativ aufgetretenen Querschnittsymptomatik und Blasenentleerungsstörung in das Zentrum für Tetra- und Paraplegie in I überführt, wo er bis zum 19. Dezember 2015 verblieb.
Aufgrund zunehmender Schmerzen stellte sich der Kläger im Februar 2016 erneut in der Klinik für Neurochirurgie der Universitätsmedizin H vor. Ein MRT der spinalen Achse zeigte ausgeprägte arachnoidale Verklebungen mit Zystenbildung und eine Verlagerung des Myelons im Bereich der oberen Brustwirbelsäule. Es bestand die Indikation für eine Revisionsoperation zur Zystenentfernung und Myelondekompression, die am 7. März 2016 erfolgte. Der Kläger verblieb nach der Operation bis zum 16. März 2016 im Universitätsklinikum, in der er unter physiotherapeutischer Anleitung mobilisiert wurde. Vom 27. April 2016 bis zum 28. Mai 2016 schloss sich ein statio...