Leitsatz (amtlich)
1. Die Rechtskraft eines Urteils über die Erstbemessung einer Invaliditätsleistung aus einer Unfallversicherung steht einer Klage auf Neubemessung nicht entgegen.
2. In die Neubemessung fließen alle Gesundheitsveränderungen ein, die noch nicht in die gerichtliche Erstbemessung eingeflossen sind.
Eine Verpflichtung, alle bis zur mündlichen Verhandlung über die Erstbemessung eingetretenen Gesundheitsveränderungen bereits im Prozess über die Erstbemessung geltend zu machen, besteht nicht.
Grundlage der Neubemessung ist die Gesundheitsveränderung ggü. den im Erstbemessungsverfahren herangezogenen ärztlichen Befunden, insbesondere einem dort eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten (im Anschluss an BGH VersR 2009, 920 = r+s 2009, 293).
Verfahrensgang
LG Paderborn (Urteil vom 23.05.2007; Aktenzeichen 3 O 67/07) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 23.5.2007 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des LG Paderborn abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 34.950 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz auf jeweils 500 EUR seit dem 1.6.2003 und jeweils folgend zum Monatsersten auf 500 EUR sowie i.H.v. 5 % auf 12.950 EUR seit dem 26.4.2005 zu zahlen.
Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen. Die weitergehende Klage bleibt abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Revisionsverfahrens tragen der Kläger 14 % und die Beklagte 86 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
A. Der Kläger macht ergänzende Ansprüche aus einer bei der D AG, deren Rechtsnachfolgerin seit dem 16.10.2006 die Beklagte ist (im Nachfolgenden einheitlich: die Beklagte), genommenen Unfallversicherung geltend, der die AUB 94/3 der Beklagten zugrunde liegen.
Der Kläger erlitt am 28.6.2003 beim Sturz von einer hohen Leiter ein schweres Schädel-Hirntrauma, eine Aspirationspneumonie, einen distalen Mehrfragmentbruch der Speiche seines rechten Unterarms, einen Mehrfragmentbruch der Kniescheibe links und einen Kieferbruch. Bei einem weiteren Sturz zog sich der Kläger am 14.1.2004 einen Beckenbruch rechts und Rippenbrüche zu. Die Beklagte leistete nach Einholung von Gutachten der Ärzte Dr. T und Dr. W vom 7.1.2005, denen zufolge der Invaliditätsgrad des Klägers zum damaligen Zeitpunkt insgesamt 49 % betrug, ohne jedoch bereits seinen Endzustand erreicht zu haben, Vorschusszahlungen auf die Invaliditätsleistung i.H.v. insgesamt 35.890 EUR und kündigte an, sie werde zum Ablauf des dritten Jahres nach dem Unfall vom 28.6.2003 eine abschließende Beurteilung des Invaliditätsgrades in Auftrag geben.
Der Kläger, der von einem Invaliditätsgrad von 59,5 % ausging, erhob eine auf weitere Invaliditätsentschädigung und Zahlung einer monatlichen Invaliditätsrente gerichtete Klage vor dem LG Paderborn (3 O 235/05). Nach mündlicher Verhandlung vom 10.10.2005 wies das LG die Klage mit Urteil vom 14.11.2005 mit der Begründung ab, dass die Invalidität des Klägers mit 49 % zutreffend bemessen sei, ab. Das Urteil wurde rechtskräftig.
In der Folgezeit lehnte die Beklagte entgegen ihrer früheren Ankündigung die Einholung weiterer ärztlicher Gutachten für eine Neubemessung der Invalidität des Klägers ab. Das daraufhin vom Kläger in Auftrag gegebene fachchirurgische Gutachten des Arztes Dr. S vom 26.10.2006 kam zu dem Ergebnis, die Gesamtinvalidität des Klägers erreiche einen Grad von mindestens 60 %. Als posttraumatische Diagnosen seien ggü. den früher festgestellten Schäden verschlimmernd ein sog. Sudeck-Syndrom der rechten Hand (CRPS) im Stadium II, eine radiokarpale Arthrose am rechten Handgelenk sowie eine ausgeprägte femuropattellare Arthrose des linken Kniegelenks hinzugekommen.
Im vorliegenden Verfahren erhob der Kläger auf der Grundlage eines Invaliditätsgrades von 60 % Klage auf Zahlung von weiterer Invaliditätsentschädigung (Kapitalzahlung sowie Unfall-Rente für die Zeit von Juni 2003 bis Januar 2007).
Er hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 40.590 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz auf jeweils 500 EUR seit dem 1.6.2003 und jeweils folgend zum Monatsersten auf 500 EUR, auf jeweils 565 EUR monatlich zum Monatsersten seit dem 1.9.2004, auf jeweils 600 EUR seit dem 1.9.2005 zum Monatsersten und auf jeweils 640 EUR seit dem 1.9.2006 bis einschließlich 1.1.2007 zum Monatsersten, sowie i.H.v. 5 % auf 15.910 EUR seit dem 26.4.2005 zu zahlen, hilfsweise festzustellen, dass er berechtigt sei, den Grad der Invalidität bezogen auf den 28.6.2006 neu feststellen zu lassen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das LG hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Es hat angenommen, ihr stehe die Rechtskraft des Urteils des LG Paderborn vom 14.11.2005 entgegen.
Hiergegen richtet sich die Berufung ...