Leitsatz (amtlich)
1. Die Antwort „Bagatellerkrankung” auf die Frage nach „Erkrankungen der …” beinhaltet eine Wertung.
2. Der Versicherer muss dann nachweisen, dass Erkrankungen vorgelegen haben, die der VN nicht als Bagatellerkrankungen angesehen hat.
Normenkette
VVG § 16
Verfahrensgang
LG Detmold (Aktenzeichen 1 O 47/01) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 22.3.2002 verkündete Urteil der Zivilkammer I des LG Detmold wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
1. Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird gem. § 540 Abs. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug genommen. Das LG hat der auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente gerichteten Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 18.156,54 Euro (= 15.952,50 DM) nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 1 des Diskontüberleitungs-Gesetzes vom 9.6.1998, höchstens 9,26 % aus jeweils 354,63 Euro (= 693,60 DM) seit dem jeweils 2. eines jeden Monats in der Zeit von Mai 2000 bis Dezember 2001 und von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem jeweils 02. eines Monats für die Monate Januar, Februar und März 2002 und
2. monatlich im Voraus ab April 2002 bis einschl. Juni 2002 eine Berufsunfähigkeitsrente i.H.v. 354,63 Euro (= 693,60 DM) zu zahlen.
Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen. Die Beklagte greift das Urteil des LG mit der Begründung an, dass sie durch Schreiben vom 31.8.2000 wegen Verschweigens ihrer Erkrankungen wirksam vom Versicherungsvertrag zurückgetreten sei und den Vertrag durch Erklärung vom 7.3.2002 wegen arglistiger Täuschung angefochten habe. Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
2. Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Beklagte ist nach dem streitgegenständlichen Vertrag verpflichtet, an die Klägerin für den Zeitraum von Mai 2000 bis Juni 2002 eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente von 693,60 DM (= 354,63 Euro) zu zahlen.
a) Die Klägerin, die als Nachtschwester in einem Haus für Suchtkranke in … tätig war, ist nach Abschluss des Versicherungsvertrages vom 7.12.1995 zu 100 % berufsunfähig geworden. Nach dem nachvollziehbaren und zutreffenden Gutachten der Sachverständigen … vom 4.10.2002 war die Klägerin ab November 1999 wegen eines systemischen Lupus erythematodes (SLE) insgesamt erwerbsunfähig und in keiner Weise mehr in der Lage, ihren Beruf als Nachtschwester auszuüben. Auch bei Beherrschung der schweren Schubsymptomatik und Stabilisierung des Krankheitsbildes würden entsprechende Einschränkungen weiterhin bestehen.
b) Der Versicherungsvertrag ist nicht gem. §§ 22 VVG, 123 Abs. 1 BGB wegen arglistiger Täuschung über Vorerkrankungen bei Antragstellung gem. Anfechtungsschreiben vom 7.3.2002 unwirksam. Dabei kann dahinstehen, ob ein zur Anfechtung berechtigendes Verhalten der Klägerin vorlag und ob die erst nach mündlicher Verhandlung erster Instanz erklärte Anfechtungserklärung nach dem neuen Novenrecht des § 531 Abs. 2 ZPO noch Berücksichtigung finden kann. Denn die Anfechtungserklärung war vorliegend verfristet. Gemäß § 124 Abs. 1 BGB beträgt die Anfechtungsfrist ein Jahr, beginnend mit dem Zeitpunkt, in dem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung entdeckt, d.h. vom Irrtum und vom arglistigen Verhalten des anderen Teils Kenntnis erlangt. Ein bloßer Verdacht oder Kennenmüssen reicht nicht. Andererseits ist nicht erforderlich, dass der Anfechtungsberechtigte alle Einzelheiten der Täuschung kennt (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl. 2002, § 124 Rz. 2). Die Anfechtung der Beklagten vom 7.3.2002 wird der Sache nach auf das Ulkusleiden der Klägerin gestützt, das verschwiegen worden sein soll. Hiervon hat die Beklagte jedoch nicht erst durch das gerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten … vom 4.10.2002 erfahren. Vielmehr ergab sich diese Vorerkrankung auch bereits aus dem an die Beklagte gerichteten Anschreiben der … vom 5.11.2000. Dort sind die streitgegenständlichen Vorerkrankungen im Einzelnen aufgeführt, und hieraus ergab sich, dass bei ihr im Jahre 1993 abdominelle Beschwerden, Gastropathie, und im Juli 1995 abdominelle Beschwerden mit Gastritis vorlagen. Die Beschwerden, die nunmehr die Anfechtung stützen sollen, waren danach mit hinreichender Deutlichkeit bekannt. Von daher hatte entsprechende Kenntnis von Irrtum und vermeintlicher Täuschung bestanden, so dass die Anfechtungsfrist spätestens Ende 2001 abgelaufen war.
c) Der von der Beklagten mit Schreiben vom 31.8.2000 erklärte Rücktritt vom Versicherungsvertrag gem. §§ 16, 17 VVG ist unwirksam. Die Angabe der Klägerin auf die Gesundheitsfragen in dem Versicherungsantrag vom 2.11.1995 „Bagatellerkrankungen” war nicht falsch. Auch soweit unter Bagatellerkrankungen nach landläufiger Auffassung vor allem Husten, Schnupfen, Grippe, Unwohlsein, kleine Schnit...