Leitsatz (amtlich)
Deuten Umstände wie äußere Verletzungen oder Wachstumsauffälligkeiten an Straßenbäumen auf eine besondere Gefährdung des Verkehrs hin, sind zur Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht eingehendere Prüfungen erforderlich. Die unerlässliche fachmännische Instruktion von damit beauftragten und überwachten Bediensteten von Gemeinden schließt die Vermittlung der Grundzüge der Holzbiologie unter dem Gesichtspunkt der äußerlich erkennbaren Verdachtsanzeichen der Fäulnis ein, um dem Gefahrenpotenzial von Straßenbäumen sachgerecht vorzubeugen.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Paderborn (Aktenzeichen 3 O 461/01) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 1.2.2002 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des LG Paderborn abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.172,39 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 8.10.2001 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
(gem. § 540 Abs. 1 ZPO n.F.).
I. Wegen der tatsächlichen Feststellungen des LG wird auf den Inhalt des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Das LG hat seiner Klageabweisung als Sachverhalt zugrunde gelegt, dass der Pkw der Klägerin durch einen vor einer Kastanie der Beklagten abgebrochenen Starkast (Stämmling) beschädigt worden ist, jedoch zuvor keine besonderen äußeren Anhaltspunkte für eine Bruchgefahr des Baumes bestanden hatten, die Anlass zu einer – über bloße Sichtkontrolle hinausgehenden – eingehenderen fachmännischen Untersuchung hätte geben müssen.
Mit ihrer Berufung hat die Klägerin die Feststellung des Fehlens äußerer Verdachtsmomente für eine Schadhaftigkeit der Kastanie gem. §§ 513 Abs. 1, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO in zulässiger Weise angegriffen. Die vom Senat durch Einholung eines forstwirtschaftlichen Sachverständigengutachtens des Dr. rer. nat. H. ergänzte Beweisaufnahme führt zu der Feststellung, dass bereits länger als ein Jahr vor dem Schadenfall und damit zum Zeitpunkt der Sichtkontrollen äußere Anzeichen für eine Bruchgefahr in Form alter Astabbruchstellen und Höhlungen im Stamm sowie einer ausgeprägten Längsrippe als Anzeichen für einen dahinter liegenden Radialriss zwischen den Stämmlingen (Defektsymptom nach VTA, vgl. Anlage 7 zu dem Gutachten) vorgelegen haben.
II. Auf der Grundlage dieser von dem angefochtenen Urteil abweichenden tatsächlichen Feststellungen steht der Klägerin gegen die Beklagte – als Eigentümerin des schadenursächlichen Baumes – nach § 823 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Ersatz sämtlicher durch den Abbruch des Stämmlings verursachter Schäden zu.
1. Im Ausgangspunkt zutreffend hat das LG die von der Rechtsprechung konkretisierten Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht bezüglich der von Straßenbäumen ausgehenden Gefahren dargelegt. Danach reicht im Regelfall eine in angemessenen Abständen vorgenommene äußere Sichtprüfung bezogen auf Gesundheit und Standsicherheit, aus (vgl. OLG Hamm v. 10.10.1997 – 9 U 106/97, VersR 1998, 188 [189]), die grundsätzlich zweimal im Jahr, und zwar einmal in belaubtem und einmal in unbelaubtem Zustand, durchzuführen ist. Dagegen ist eine eingehendere fachmännische Untersuchung der Straßenbäume dann vorzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die nach der Erfahrung auf eine besondere Gefährdung des Verkehrs hindeuten (OLG Hamm v. 10.10.1997 – 9 U 106/97, VersR 1998, 188 [189]). Dazu gehören auch äußere Verletzungen und Wachstumsauffälligkeiten. Unterlässt der Sicherungspflichtige bei Vorliegen derartiger Verdachtsanzeigen eine eingehendere Prüfung und übersieht aus diesem Grunde eine vorhandene Bruchgefahr, so hat er bei einer dadurch verursachten Sachbeschädigung – im Falle der Eigentümerhaftung nach § 823 Abs. 1 BGB – dem Geschädigten die entstandenen Schäden zu ersetzen.
2. Nach den vom Senat getroffenen und unter 1) dargelegten Feststellungen liegen diese Voraussetzungen hier vor. Der Sachverständige Dr. H. hat in seinem mündlich erstatteten und in einer umfangreichen schriftlichen Anlage erläuterten und veranschaulichten Gutachten klar und überzeugend ausgeführt, dass die Beklagte bereits aufgrund des bekannten – bereits Jahre zurückliegenden – Astabbruchs und weiteren durch Lichtbilder dokumentierten Astabbrüchen mit Fäulnisbildung hinter den Bruchstellen hätte rechnen müssen. Dabei bestand insb. im Bereich der aus den Lichtbildern der Anlagen 3 und 4 zu dem Gutachten ersichtlichen Höhlungen im Stamm wegen des dort entstandenen Holzabbaus die Gefahr einer zu geringen Restwandstärke und damit einer unzureichenden Stabilität. Diese äußerlich erkennbaren Risiken hätten auf jeden Fall eine eingehendere fachmännische Untersuchung der betreffenden Kastanie erfordert. Der Sachverständige Dr. H. hat als weitere Ursache für die erhebliche Fäule innerhalb des Stammes einen Radialriss zwischen den Stämmlingen hervorgehoben, für den eine ausgeprägte Längsrippe ein deutlich erkennbares Defektsymptom darstellte. Auch dieses Anzeichen hätte unbedingt Anlass für e...