Leitsatz (amtlich)
Die Räum- und Streupflicht für Fahrbahnen besteht innerhalb geschlossener Ortslagen nur an verkehrswichtigen und gefährlichen Stellen.
Eine Anliegerstraße wird durch das häufige Befahren mit Omnibussen zu keiner verkehrswichtigen Straße; die Glättebildung einer abgefahrenen Schneedecke durch Busverkehr begründet keine Räum- und Streupflicht für die Fahrbahn, weil dadurch keine "gefährliche Stelle" entsteht und andernfalls zu einer Erweiterung der Winterwartungspflichten führen würde, die die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Hand überforderte.
Die Übertragung der Winterwartung auf Gehwegen auf die Anlieger befreit die Kommune nicht von der Pflicht, die Wahrnehmung der Winterwartung durch die Anlieger zu kontrollieren.
Auch bei Verletzung der Kontrollpflicht der Kommune ist der durch Glätte Verletzte dafür darlegungs- und beweispflichtig, dass die Einhaltung der Kontrollpflicht den Schadensfall verhindert hätte.
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Urteil vom 05.05.2008; Aktenzeichen 6 O 412/07) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 5.5.2008 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des LG Bielefeld wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsmittels werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Klägerin verlangt von der beklagten Stadt wegen angeblicher Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht Schadensersatz nach einem Sturz auf der eisglatten Fahrbahn der N-Straße in Höhe des Hauses Nr. ... in H am 29.1.2006 gegen 16:30 Uhr.
Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Das LG hat die Klage nach Anhörung der Klägerin abgewiesen. Ein Anspruch aus Verletzung der Verkehrssicherungspflicht gem. § 823 Abs. 1 BGB bestehe nicht. Die Klägerin sei unstreitig auf der Fahrbahn der Straße zu Fall gekommen. Dort habe aber keine Räumpflicht bestanden, weil es sich um eine im Wesentlichen nur vom Anliegerverkehr genutzte Straße handele, die sich schon durch die Gestaltung der Pflasterung als untergeordnete Straße darstelle. Selbst wenn eine solche Räumpflicht bestanden habe, so schütze diese nur den Fahrzeugverkehr. Die Klägerin habe auch keinen belebten und unentbehrlichen Fußgängerüberweg genutzt. Außerhalb solcher Stellen seien Überwege nicht von Schnee und Eis frei zu halten, da dann im Ergebnis die gesamte Fahrbahn zu räumen wäre, was die Leistungsfähigkeit der Gemeinden überfordern würde.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Das Rechtsmittel werde darauf gestützt, dass die Beklagte ihrer Überwachungspflicht nach Übertragung der Räumpflicht auf die Anlieger durch die Straßenreinigungssatzung vom 1.9.1980 nicht nachgekommen sei. Eine erhöhte Überwachungspflicht bestehe deshalb, weil der Beklagten bekannt sei, dass täglich 35-40 Busse des Personenbeförderungsdienstes der englischen Streitkräfte die Straße nutzten und die Schneedecke auf der Fahrbahn dadurch festgefahren und spiegelglatt gewesen sei. Die Straße werde deshalb zwar nicht viel, aber durchaus intensiv befahren. Eine Räumpflicht bestehe auch auf der Fahrbahn, da die erforderliche Trennung zwischen Fußweg und Fahrbahn allein durch die unterschiedliche Farbe der Pflasterung nicht erreicht werde. Hätte die Beklagte regelmäßig kontrolliert und Verstöße der Anlieger daraufhin geahndet, wäre ein ausreichend breiter Streifen am Rande der Straße am Unfalltag geräumt gewesen. Dann hätte die Klägerin die Straße nicht queren müssen. Der Klägerin könne nicht vorgeworfen werden, dass sie die Straße auf kürzestem Weg habe überqueren wollen.
Mit Schriftsatz vom 13.2.2009 behauptet sie weiter, dass die Anlieger des N-Straße im Januar 2006 trotz heftiger Schneefälle ihrer Räumpflicht nicht nachgekommen seien. Insbesondere die "englischen Mitbürger", an die viele der Anliegergrundstücke vermietet seien, seien völlig untätig und ließen den Schnee auf den von ihnen zu räumenden Gehwegen liegen, bis er abtaue bzw. überfriere. Der Beklagten sei die Situation bekannt, ohne dass sie dies zum Anlass genommen habe, ihrer Kontrollpflicht nachzukommen.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.2.2006,
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 375 EUR zu zahlen nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.2.2006,
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den weiteren Schaden zu ersetzen, der der Klägerin aus dem Unfall vom 29.1.2006 noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist,
4. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Nebenkosten i.H.v. 546,96 EUR zu zahlen nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.2.2006.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Die Räum- und Streupflicht sei wirksam auf die Anlieger übertragen...