Leitsatz (amtlich)
Ist eine Gemeinde als Grundstückseigentümerin wie ein (privater) Straßenanlieger zur Winterwartung verpflichtet, sind an die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht grundsätzlich keine geringeren Anforderungen zu stellen als an den Winterdienst für Fahrbahnen. Das bedeutet, dass ein der Räum- und Streupflicht unterliegender Gehweg im selben zeitlichen Rahmen zu warten ist wie Fahrbahnen.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Dortmund (Aktenzeichen 7 O 292/01) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 22.11.2001 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des LG Dortmund abgeändert:
Der Leistungsanspruch der Klägerin wird dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Zur Höhe des Anspruchs wird der Rechtsstreit an das LG zurückverwiesen; diesem wird auch die Entscheidung der Verteilung der Kosten des Berufungsverfahrens überlassen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verantwortlichkeit für einen Glätteunfall, den die Klägerin nach ihrer Darstellung am 18.11.1999 in … erlitten hat.
Die Klägerin behauptet, sie sei an diesem Tage gegen 8:30 Uhr infolge Schneeglätte auf dem zu diesem Zeitpunkt unstreitig nicht abgestreuten Bürgersteig der …-Straße in Höhe des Zugangs zu dem …-Haus ausgerutscht und zu Fall gekommen. Hierbei habe sie sich am rechten Fuß eine Knöchelfraktur zugezogen. Die Klägerin meint, die Beklagte hätte den Unfallbereich am Unfalltag vor 8:30 Uhr gegen Glätte sichern müssen. Sie behauptet hierzu, es habe am Vortag bis gegen 1:00 Uhr des 18.11.1999 geschneit gehabt und danach sei bis zu ihrem Sturz kein Schnee mehr gefallen. Die Klägerin wurde wegen der Knöchelfraktur vom 18.11. bis 14.12.1999 stationär in einem Krankenhaus behandelt und war nach ihrem Vorbringen auch anschließend bis September 2000 unfallbedingt so sehr in ihren Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt, dass sie zu ihrer Pflege und Führung ihres Haushaltes die Hilfe ihrer Schwester und ihres Schwagers … habe in Anspruch nehmen müssen. Diesen habe sie hierfür Beträge i.H.v. 20.525 DM gezahlt. Mit der Klage hat die Klägerin Ersatz ihres mit 21.711,54 DM bezifferten Schadens (Fahrtkosten, Eigenanteil an Krankheitskosten, Haushaltsführungsschaden) begehrt.
Die Beklagte ist diesem Begehren entgegengetreten. Sie bestreitet mit Nichtwissen, dass der Sturz auf dem Bürgersteig vor dem …-Haus erfolgt ist und behauptet zu den Witterungsverhältnissen, dass erst gegen 7:30 Uhr am Unfalltag heftiger Schneefall eingesetzt und den ganzen Tag angedauert habe, so dass in dem gesamten Stadtgebiet … flächendeckend Räum- und Streumaßnahmen durchgeführt worden seien.
Das LG hat nach Vernehmung von Zeugen und Anhörung der Klägerin die Klage abgewiesen. Es hat als bewiesen angesehen, dass der Schneefall erst gegen 6:30 Uhr begonnen und bis 8:30 Uhr angedauert habe, und bei derartigen Wetterverhältnissen ein Abstreuen des behaupteten Unfallbereichs vor dem Unfall für unzumutbar erachtet.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung, wobei sie insb. die Beweiswürdigung des LG angreift.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet.
I. Die Klägerin kann wegen ihres Sturzes vom 18.11.1999 von der Beklagten gem. den § 823 Abs. 1 BGB vollen Ersatz ihrer hierbei entstandenen Schäden fordern.
1. Zwar war die Beklagte für die Winterwartung auf dem Bürgersteig der …-Straße in Höhe des …-Hauses nicht nach der polizeilichen Reinigungsvorschrift des § 1 Abs. 2 Straßenreinigungsgesetz Nordrhein-Westfalen (StrReinG NW) hoheitlich zuständig, da sie – wie gerichtsbekannt ist – Reinigungs- und Winterdienstpflicht für die Gehwege durch ihre Reinigungssatzung auf der Grundlage des § 4 StrReinG NW rechtswirksam auf die Anlieger, d.h. die Eigentümer der angrenzenden Grundstücke, übertragen hat. Sie war jedoch als Eigentümerin des an die behauptete Unfallstelle angrenzenden Grundstücks selbst Anliegerin in dem vorbezeichneten Sinne und daher in diesem Bereich für die Durchführung gebotener Streu- und Räummaßnahmen privatrechtlich verantwortlich.
2. Gegen diese Streupflicht hat die Beklagte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme verstoßen und hierdurch schuldhaft eine Gesundheitsschädigung der Klägerin herbeigeführt.
a) Der Senat hat zunächst keine Zweifel daran, dass die Klägerin tatsächlich an der von ihr bezeichneten Stelle – auf dem Bürgersteig der …-Straße in Höhe des Zuganges zu dem …-Haus bei Schneeglätte gestürzt ist und sich dabei die ärztlich festgestellte Knöchelfraktur zugezogen hat. Sowohl der Zeuge G. als auch die Klägerin selbst haben diesen Unfallort bei ihrer Befragung im Berufungstermin detailliert und glaubhaft angegeben; Anhaltspunkte für eine wahrheitswidrige Ortsangabe sind nicht ersichtlich.
b) Der Gehweg der …-Straße in Höhe des …-Hauses gehört räumlich zu den Verkehrsflächen, die bei winterlicher Glätte abgestreut und erforderlichenfalls geräumt werden müssen. Nach gefestigter Rechtsprechung sind bei Glätte innerhalb geschlossener Ortslagen diejenigen Gehwege zu bestreuen, ...