Leitsatz (amtlich)
Die längere Verwendung eines Gebrauchtwagens, der zum Zweck der Leistungssteigerung mit einem Chip-Tuning ausgestattet ist, kann den nicht ausräumbaren Verdacht erhöhten Verschleißes des Motors und anderer für den Fahrzeugbetrieb bedeutender Bauteile begründen. Ein solches Fahrzeug weist einen Sachmangel i.S.v. § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB auf (Fortführung von OLG Düsseldorf, Urt. v. 16.10.2009 - 22 U 166/08, n.v.).
Normenkette
BGB § 204 Abs. 1 Nr. 7, § 346 Abs. 1, § 347 Abs. 2, § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
LG Dortmund (Urteil vom 08.11.2010; Aktenzeichen 5 O 241/10) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird - unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels - das am 8.11.2010 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des LG Dortmund teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.166,51 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.6.2010 Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs vom Typ B mit der Fahrgestell-Nr.... zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des vorbezeichneten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des ersten Rechtszugs- einschließlich des Kosten des selbständigen Beweisverfahrens 5 OH 19/09 LG Dortmund - tragen die Klägerin 65 % und die Beklagte 35 %.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 59 % und die Beklagte 41 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Auf die Darstellung des Tatbestandes wird gemäß den §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO verzichtet.
II. Die Berufung der Klägerin hat teilweise Erfolg.
Die Klage ist teilweise begründet.
1. Die Klägerin kann von der Beklagten, die mit Kraftfahrzeugen handelt, Zahlung i.H.v. 7.166,51 EUR Zug um Zug gegen Rückübereignung des streitgegenständlichen "B" verlangen.
Der Anspruch ergibt sich aus den §§ 346, 323, 437 Nr. 2, 434 BGB i.V.m. § 398 BGB.
Der zwischen dem Sohn der Klägerin, dem Zeugen I, und der Beklagten am 25.10.2008 geschlossene Fahrzeugkaufvertrag ist in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt worden.
a) Es kann dahin stehen, ob in dem Anwaltsschreiben der Klägerin vom 7.10.2009, mit dem sie die Anfechtung des Vertrags erklärt hat, eine konkludente Rücktrittserklärung enthalten ist. Diese Willenserklärung war weder als Anfechtung noch als Rücktritt wirksam. Denn die Klägerin, die nicht die Vertragspartnerin der Beklagten ist, war zu diesem Zeitpunkt nicht zur Ausübung dieser Gestaltungsrechte berechtigt.
In der Klageschrift vom 4.6.2010 ist indessen eine konkludente Erklärung des Rücktritts enthalten. Die Klägerin hat darin zum Ausdruck gebracht, dass an dem Kaufvertrag nicht festgehalten werden soll. Zu diesem Zeitpunkt war sie aufgrund Rechtsübertragung durch den Käufer zur Erklärung des Rücktritts berechtigt. Die weit formulierte - Abtretungsvereinbarung vom 19.10.2009 umfasst nach ihrem Sinn und Zweck auch die Befugnis, den Vertragsrücktritt zu erklären.
b) Ein Rücktrittsgrund liegt vor.
aa) Das an den Sohn der Klägerin verkaufte Fahrzeug wies im Zeitpunkt der Übergabe einen Sachmangel i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB auf.
An dem Fahrzeug war durch einen Vorhalter im Mai 2006 bei einem km-Stand von 26.729 km eine leistungssteigernde Maßnahme in Form eines sog. Chip-Tuning durchgeführt worden. Infolgedessen wies der Pkw im Zeitpunkt des Verkaufs an den Zeugen I nicht die Beschaffenheit auf, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann.
Es ist allgemein anerkannt, dass nicht nur übermäßiger Verschleiß, sondern schon das Risiko erhöhten Verschleißes durch eine besondere Art der Vornutzung einen Sachmangel begründen kann, so z.B. die längere Verwendung als Taxi oder Fahrschulwagen (vgl. BGH, Urt. v. 12.5.1976 - VIII ZR 33/74, MDR 1976, 1012 f. = BeckRS 1976 311221; OLG Köln, Urt. v. 20.11.1998 - 19 U 53/98, NZV 1999, 338; OLG Düsseldorf, Urt. v. 16.10.2009 - 22 U 166/08, unveröffentlicht; Reinking/Eggert, Autokauf, 11. Aufl. 2012, Rz. 3207).
Die längere Verwendung des Fahrzeugs mit einem zum Zweck der Leistungssteigerung durchgeführten Tuning - hier über eine Laufstrecke von ca. 60.000 km - begründet den nicht ausgeräumten Verdacht eines erhöhten Verschleißes des Motors und weiterer für den Fahrzeugbetrieb bedeutender Bauteile, wie z.B. des Getriebes und des Antriebsstrangs (zum nicht ausräumbaren Verdacht als Sachmangel s. auch OLG Naumburg, Urt. v. 6.11.2008 - 1 U 30/08, OLGReport 2009, 284 m.w.N.). Dies hat der Sachverständige Dipl.-Ing. T2 in seiner mündlichen Anhörung vor dem Senat überzeugend ausgeführt. Wird die Leistungssteigerung auch nur in einzelnen Fahrsituationen - insbesondere beim Beschleunigen - ausgenutzt, kann es zu einer erhöhten thermischen Belastung und infolgedessen zum vorzeitigen Verschleiß zahlreicher Bauteile kommen. Es leuchtet ein, dass damit das Chip-Tuning das erhöhte Risiko einer verkürzten Gesamtlaufleistung des Motor...