Verfahrensgang
LG Paderborn (Aktenzeichen 2 O 380/20) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 26.02.2021 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger macht aus übergeleitetem Recht im Wege der Stufenklage - hier auf der Auskunftsstufe - Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche nach dem am 24.02.2017 verstorbenen Erblasser K A geltend.
Die Beklagte (geb. 00.00.1934) war mit dem Erblasser verheiratet. Die Eheleute hatten zwei Kinder, L und B A. Der am 00.00.1967 geborene B A ist aufgrund eines cerebralen Geburtsschadens mit verminderter Sauerstoffversorgung seit seiner Geburt in seinen kognitiven und mnestischen Fähigkeiten eingeschränkt. Er besuchte die Sonderschule, erwarb einen Hauptschulabschluss und arbeitet heute in einer Behindertenwerkstatt (vgl. Gutachten vom 24.11.2017, AG Detmold 23 XVII 69/18, Bl. 6, 7).
Die Eheleute A errichteten am 29.08.1988 ein gemeinschaftliches Testament (Bl. 10 ff. d. A.), in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben und den Sohn L zum Schlusserben einsetzten. Nach dem Tod des Erblassers nahm die Beklagte die Erbschaft an.
Seit dem Tod ihres Ehemannes kann die Beklagte den bis zu diesem Zeitpunkt bei ihr wohnenden Sohn B nicht mehr allein versorgen. Deshalb regte sie am 28.01.2018 die Einrichtung einer Betreuung an. Der Sohn B A zog am 03.02.2018 in den stationären Wohnbereich des C-Hauses in J. Seit dem 01.02.2018 erhält er vom Kläger Sozialhilfe in Form von stationärer Eingliederungshilfe und Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von zuletzt 1.371,66 EUR monatlich. Am 23.04.2018 wurde für ihn eine gesetzliche Betreuung für die Bereiche Gesundheitsfürsorge, Vermögensangelegenheiten und Wohnungsangelegenheiten angeordnet (AG Detmold 23 XVII 69/18, Bl. 35). Im Frühjahr / Sommer 2018 zog die Beklagte in eine ambulant betreute Wohneinrichtung nach Z. Ab dem 05.11.2020 wurde ihr der Pflegegrad 3 bewilligt; eine stationäre Pflege ist geplant.
Mit notariellem Vertrag vom 03.07.2018 verkaufte die Beklagte das zum Nachlass gehörende Wohnhaus in X, Dstraße 00, zu einem Verkaufspreis von 235.000,00 EUR. Mit notariellem Vertrag vom 11.06.2019 erklärte B A gegenüber der Beklagten den Verzicht auf Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche nach dem Erblasser (Bl. 13 ff d.A.). Der Kläger leitete durch Bescheid vom 04.02.2020 Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche des Leistungsempfängers B A nach dem Erblasser auf sich über, §§ 141 SGB IX, 93 SGB XII. Dieser Bescheid ist inzwischen bestandskräftig.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 10.02.2020 forderte der Kläger von der Beklagten Auskunft über den Nachlass. Nach Fristablauf hat er mit Klageschrift vom 20.10.2020 die vorliegende Stufenklage zur Geltendmachung von Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen aus übergeleitetem Recht anhängig gemacht und auf erster Stufe Auskunft über den Bestand des Nachlasses begehrt.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der am 11.06.2019 geschlossene Verzichtsvertrag sei sittenwidrig und damit unwirksam, § 138 BGB. Hilfsweise hat er sich darauf berufen, dass der Vertrag auch wegen Geschäftsunfähigkeit des B A gem. § 104 Ziff. 1 BGB unwirksam sei.
Die Beklagte hat vorgetragen, B A sei unbeschränkt geschäftsfähig gewesen. Der Verzicht sei rechtswirksam mit ihm vereinbart worden, insbesondere sei der Verzicht nicht sittenwidrig.
Das Landgericht hat die Beklagte mit Teil-Urteil vom 26.02.2021 verurteilt, dem Kläger Auskunft über den Nachlass sowie den Ergänzungsnachlass des Erblassers durch Vorlage eines schriftlichen Bestandsverzeichnisses zu erteilen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, ein Anspruch gem. § 2314 Abs. 1 S. 1 BGB bestehe aus übergeleitetem Recht, §§ 141 SGB IX, 93 SGB XII. B A sei pflichtteilsberechtigt, § 2303 BGB. Der am 11.06.2019 geschlossene Pflichtteilsverzichtsvertrag sei kein Verzicht gem. § 2346 Abs. 2 BGB, sondern ein Erlassvertrag i.S.d. § 397 BGB. Auf diesen seien zwar die Wertungen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu übertragen, wonach Pflichtteilsverzichtsverträge nicht generell sittenwidrig seien. Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls sei die Kammer hier aber davon überzeugt, dass alleinige Motivation des Vertragsschlusses gewesen sei, den Zugriff des Klägers auf bereits entstandene, werthaltige Ansprüche des Leistungsempfängers zu verhindern, um so zu Lasten der Allgemeinheit die Bedürftigkeit des Leistungsbeziehers aufrecht zu erhalten. Aufgrund dessen sei der hier erklärte Verzicht sittenwidrig und der Vertrag damit nichtig, § 138 ...