Leitsatz (amtlich)
1. Ein Motorradfahrer, der sich mit überhöhter Geschwindigkeit der Einmündung zu einer Autobahnauffahrt nähert und der diese überhöhte Geschwindigkeit beibehält, obwohl sich im Gegenverkehr ein Pkw erkennbar zum Linksabbiegen eingeordnet hat, kann sich nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen, wenn er aufgrund der Örtlichkeit damit rechnen muss, dass er und insbesondere die von ihm gefahrene Geschwindigkeit für den Pkw-Fahrer nur sehr schwer wahrnehmbar sind.
2. Zur Haftungsquote, wenn es in einem solchen Fall zu einer Vorfahrtverletzung durch den Pkw-Fahrer komme (hier 2/3 zu 1/3 zu Lasten des Pkw-Fahrers).
Normenkette
StVG §§ 9, 17; StVO § 8
Verfahrensgang
LG Siegen (Aktenzeichen 5 O 39/00) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 29.3.2001 verkündete Grund- und Teilurteil der 5. Zivilkammer des LG Siegen wird zurückgewiesen.
Auf die Berufung der Beklagten wird dieses Urteil unter Zurückweisung der weiter gehenden Berufung teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen Schäden aus dem Unfall vom 19.5.1998 auf der L 709 in D. zu 2/3 und sämtliche immateriellen Schäden aus diesem Unfall unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 1/3 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 93 % und die Beklagten zu 7 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 99 % und die Beklagten zu 1 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Den Parteien wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung des Gegners durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, falls nicht dieser vor der Vollstreckung in derselben Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger macht Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 19.5.1998 in D. geltend, bei dem er als Kradfahrer vom Beklagten zu 1), der mit seinem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw nach links auf eine Autobahnauffahrt abbiegen wollte, im Gegenverkehr erfasst wurde. Vor der Annäherung an die Unfallstelle durchfuhr der Kläger dabei eine ansteigende Linkskurve. Der Beklagte zu 1) hatte sich für den Abbiegevorgang zuvor auf der in der Örtlichkeit vorhandenen Linksabbiegerspur eingeordnet.
Infolge des Unfalles erlitt der Kläger offene Frakturen an Unterschenkel, Oberschenkel und Unterarm links, eine BWK-7-Fraktur, eine Nierenkontusion und multiple Prellungen. Der linke Unterschenkel musste am 25.5.1998 amputiert und der Stumpf am 17.6.1998 nochmals auf 10 cm verkürzt werden. Die Prothesenversorgung ist noch nicht abgeschlossen; die derzeitige Prothese verursacht noch schmerzhafte Scheuerstellen. Am Stumpf befinden sich noch zwei Druckgeschwüre mit entsprechenden Beschwerden. Am Unterarm ist es zur Ausbildung einer Pseudarthrose an beiden Knochen gekommen. Die beiden Implantate zeigen deutliche Lockerungszeichen. Eine Konsolidierung ist nicht zu erwarten. Die Behandlung ist nicht abgeschlossen.
Die Beklagte zu 2) hat vorprozessual 120.000 DM an den Kläger gezahlt, die sie in der Klageerwiderung zu 80.000 DM auf den Schmerzensgeldanspruch und zu 40.000 DM auf die Sachschäden verrechnet hat. Der Kläger begehrt ein weiteres Schmerzensgeld sowie weiteren Schadensersatz für materielle Schäden.
Die Parteien haben im Wesentlichen darüber gestritten, ob der Unfall für den Kläger unvermeidbar war oder von ihm durch überhöhte Geschwindigkeit mitverursacht worden ist.
Das LG hat zum Unfallhergang zwei Zeugen vernommen und ein Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. G. eingeholt, der die vom Kläger gefahrene Geschwindigkeit mit 120 bis 150 km/h ermittelt und weiter ausgeführt hat, dass dieser den Unfall auch bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h nicht mehr hätte vermeiden können, als er erkennen konnte, dass der Beklagte zu 1) ihm die Vorfahrt nicht gewährte, sondern über seine Fahrspur hinweg nach links abbog. Dagegen wäre der Unfall zeitlich vermeidbar gewesen, wenn er schon beim ersten Sichtkontakt zum Beklagten zu 1), der sich auf der Linksabbiegerspur eingeordnet hatte, seine Geschwindigkeit auf 100 km/h reduziert hätte.
Auf dieser Grundlage hat das LG ein Mitverschulden des Klägers verneint und ihm durch das angefochtene Urteil ein weiteres Schmerzensgeld von 40.000 DM (also insgesamt 120.000 DM) zugebilligt, den Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Sachschäden dem Grunde nach aber nur zu 80 % für gerechtfertigt erklärt, weil der Kläger sich beim materiellen Schaden wegen einer möglichen „defensiveren Fahrweise” die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs anrechnen lassen müsse; dementsprechend hat es die Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz von weiteren immateriellen Schäden zu 100 % und weiteren materiellen Schäden zu 80 % festgestellt.
Gegen dieses Ur...