Leitsatz (amtlich)

Das Übersehen einer nicht dislozierten Fraktur im oberen Sprunggelenk kann als Behandlungsfehler gewertet werden. Dass ein Berufsanfänger die Fraktur übersehen kann, führt nicht zu einem - haftungsrechtlich irrelevanten - Diagnoseirrtum. Ob die gesundheitlichen Beeinträchtigungen auch bei regelrechter Frakturversorgung eingetreten wären, ist eine Frage des rechtmäßigen Alternativverhaltens.

 

Normenkette

BGB §§ 253, 280, 823

 

Verfahrensgang

LG Arnsberg (Aktenzeichen 3 O 6/16)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 6. März 2018 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass im Feststellungsausspruch nur das Datum des 08.10.2012 gilt.

Die Kosten der Berufungsinstanz werden der Beklagten auferlegt.

Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger nimmt die Beklagte wegen einer vermeintlich fehlerhaften Behandlung in der Zeit vom 08.10.2012 bis zum 13.12.2013 auf Schmerzensgeld (mind. 10.000,00 EUR), Feststellung zukünftiger Schadensersatzpflicht und Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten (1.680,28 EUR) in Anspruch.

Der am 18.07.1964 geborene Kläger stellte sich nach einem am 07.10.2012 erlittenen Treppensturz wegen anhaltender Beschwerden am Abend des 08.10.2012 in der Notaufnahme des St. Vincent Krankenhauses in Menden vor, dessen Trägerin die Beklagte ist. Nach einer klinischen Untersuchung und Anfertigung von Röntgenbildern stellte der behandelnde Unfallchirurg die Diagnose einer Distorsion des oberen linken Sprunggelenks. Er versorgte den Kläger mit einem Voltarensalbenverband und der Empfehlung einer lokalen Kühlung sowie Schonung entließ ihn wieder nach Hause.

In den folgenden Wochen ging der Kläger weiter seiner beruflichen Beschäftigung nach und verbrachte einen Urlaub in Polen.

Am 08.11.2012 stellte sich der Kläger aufgrund fortbestehender Beschwerden und einer Schwellung des Unterschenkels erneut notfallmäßig im Hause der Beklagten in Menden vor, wo entsprechend des Überweisungsauftrags eine Thrombose im linken Unterschenkel ausgeschlossen wurde. Eine Röntgenkontrolle erfolgt an diesem Tag nicht.

Die ambulante Weiterbehandlung des Klägers erfolgte bei dem niedergelassenen Orthopäden Dr. Mangeot. Nach anfänglicher konservativer Therapie zeigte sich auf einem am 25.11.2012 erstellten Röntgenbild eine distanzierte Pilon-Tibiafraktur des linken oberen Sprunggelenks.

Mit den Röntgenaufnahmen stellte sich der Kläger am 26.11.2012 erneut im Hause der Beklagten vor, wo die Diagnose nach Anfertigung von CT-Aufnahmen bestätigt wurde. Am 30.11.2012 erfolgte sodann die offene Reposition der Fraktur mit Plattenosteosynthese der distalen Tibiafraktur. Eine Revisionsoperation zur Korrektur der Stellschraube und zur Durchführung einer Plattenosteosynthese der Fibula fand am 06.12.2012 statt. Die Entfernung des Osteosynthesematerials erfolgte im Dezember 2013.

Der Kläger hat behauptet, die am Vortag erlittene Fraktur im linken oberen Sprunggelenk sei im Krankenhaus der Beklagten behandlungsfehlerhaft nicht erkannt worden. Weiterhin sei behandlungsfehlerhaft trotz fortbestehender Beschwerden am 08.11.2012 keine weitere Bildgebung durchgeführt worden. Bei der Operation am 30.11.2012 hätte bereits primär eine Osteosynthese am Wadenbein durchgeführt werden müssen. Das Nichterkennen der Fraktur am 08.10.2012 habe zu einem Dauerschaden am linken Bein geführt. Weil er sein linkes Bein nach dem 08.10.2012 zunächst voll belastet habe, sei es in der Folge zu der grob dislozierten Fraktur des linken oberen Sprunggelenks in Luxationsfehlstellung des Talus und einer sekundären Fraktur des Fibulaschaftes gekommen. Er sei arbeitslos und könne behandlungsfehlerbedingt seinen bisherigen Beruf als Maurer bzw. Produktionshelfer nicht mehr ausüben.

Das Landgericht hat der Klage gestützt auf ein fachorthopädisches Gutachten stattgegeben. Es sei behandlungsfehlerhaft am 08.10.2012 eine nicht dislozierte Fraktur im Bereich der distalen Tibia des linken oberen Sprunggelenkes übersehen worden. Die Diagnose einer Prellung sei wegen der im gefertigten Röntgenbild erkennbaren Frakturlinien fehlerhaft gewesen. Ein Facharzt hätte die Frakturlinien auf der Röntgenaufnahme vom 08.10.2012 sehen müssen, so dass von einem einfachen Diagnosefehler auszugehen sei. Demgegenüber seien ein Befunderhebungsfehler am 08.10.2012 durch die unterbliebene Anfertigung eines CT sowie Behandlungsfehler im Zusammenhang mit der operativen Versorgung der Fraktur am 30.11.2012 und 06.12.2012 nicht festzustellen. Es könne dahinstehen, ob sich möglicherweise weitere Behandlungsfehler aus einer unterbliebenen Nachbefundung der Röntgenbilder vom 08.10.2012 oder einer unterlassenen Befunderhebung durch Anfertigung bzw. Auswertung von Röntgenaufnahmen am 08.11.2012 ergeben würden, da bereits der festgestellte Diagnosefehler kausal für die vom Kläger erlittenen Beeinträchtigungen sei. Wäre die Fraktur sogleich am 08.10.2012 erkannt worden, hät...

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