Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstattungsfähigkeit vorprozessualer Anwaltskosten in Verkehrsunfallsachen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Beauftragt nach einem Verkehrsunfall der Geschädigte einen Anwalt mit der außergerichtlichen Geltendmachung seiner Schadensersatzansprüche ggü. dem Haftpflichtversicherer des Unfallgegners, so kann er in einem späteren Gerichtsverfahren den Ersatz der vorprozessualen Rechtsanwaltskosten gem. Nr. 2400 VVG-RVG (seit 30.6.2006: Nr. 2300) beanspruchen, wenn nicht aufgrund konkreter Umstände bei der Mandatserteilung davon ausgegangen werden musste, dass der Versuch der außergerichtlichen Regulierung keine Erfolgsaussicht hat.

2. Im Verhältnis zum Schädiger ist der Gegenstandswert zugrunde zu legen, der der berechtigten Schadensersatzforderung (einschließlich Feststellung) entspricht.

 

Normenkette

RVG-VV a.F. Nr. 2400 (entspr. jetzt Nr. 2300)

 

Verfahrensgang

LG Paderborn (Urteil vom 14.12.2007; Aktenzeichen 4 O 470/07)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen - das am 14.12.2007 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Paderborn teilweise abgeändert.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger weitere 775,64 EUR vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Es bleibt bei der Kostenentscheidung des LG für die erste Instanz.

Von den Kosten des zweiten Rechtszuges tragen der Kläger 7 % und die Beklagten 93 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Der Kläger verlangt in dieser Instanz noch Erstattung außergerichtlicher Anwaltskosten aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am 3.10.2005 mittags auf dem Tegelweg in Paderborn ereignet hat.

Die Gehwege des Tegelweges sind durch das Zeichen 239 "Fußgänger" gekennzeichnet und jeweils in Fahrtrichtigung rechts durch das Zusatzschild "Radfahrer frei" für den Fahrradverkehr freigegeben.

Der Kläger befuhr mit seinem Fahrrad den linken Gehweg. Auf der Fahrbahn kam aus der Gegenrichtung der Beklagte zu 1) mit einem Kleintransporter des Beklagten zu 2), der bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert war. Als er nach rechts über einen abgesenkten Bordstein in eine Grundstückszufahrt einbog, stieß er mit dem Kläger zusammen. Dieser wurde bei dem Sturz verletzt.

Seine späteren Prozessbevollmächtigten wandten sich für ihn am 19.12.2005 an die Beklagte zu 3) und forderten sie auf, sich zum Grunde der Haftung zu erklären und 5.000 EUR als Schmerzensgeld zu zahlen. Das lehnte die Beklagte zu 3) unter dem 23.12.2005 ab.

Mit seiner Klage vom 8.10.2007 machte der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten seine materiellen und immateriellen Schaden klageweise auf der Grundlage einer Haftungsquote von 70 % geltend. Nach Beweisaufnahme gab das LG der Klage im Wesentlichen statt, indem es die Haftungsquote bestätigte und dem Kläger das begehrte Schmerzensgeld zusprach, ferner auch den begehrten Ersatz des materiellen Schadens unter relativ geringfügigen Abzügen.

Neben den genannten Hauptforderungen hatte der Kläger auch auf der Grundlage eines Gegenstandwertes von 13.000 EUR den Ersatz angefallener Anwaltskosten geltend gemacht, und zwar eine Geschäftsgebühr gem. Nr. 24 VV-RVG a.F. nach dem 1,3fachen Satz zzgl. Post- und Telekommunikationspauschale und MwSt, zusammen 837,52 EUR.

Diese Schadensposition hat ihm das LG komplett aberkannt mit der Begründung, der Kläger hätte im Interesse der Kostengeringhaltung seinem späteren Prozessbevollmächtigten sofort einen unbedingten Klageauftrag erteilen können und müssen, denn dann hätte das vorprozessuale Schreiben an den Haftpflichtversicherer der Vorbereitung der Klage gedient und deshalb gem. § 19 Abs. 1 Nr. 1 RVG bereits zum Rechtszug gehört mit der Folge, dass hierfür keine zusätzliche Gebühr angefallen wäre.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger seinen Anspruch wegen dieser ihm aberkannten 837,52 EUR weiter.

Die Beklagten verteidigen mit näheren Ausführungen das angefochtene Urteil.

II. Das Rechtsmittel des Klägers hat zum ganz überwiegenden Teil Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet.

1. Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt worden und ist auch im Übrigen zulässig.

1.1. Die Berufung betrifft zwar nur einen Betrag, der in erster Instanz als Nebenforderung i.S.v. § 4 Abs. 1, Halbs. 2 ZPO geltend gemacht wurde (vgl. BGH, SP 07, 370; BGH MDR 2007, 1149; BGH NJW 2007, 3289). Anders als die prozessuale Kostenentscheidung in § 99 Abs. 1 ZPO sind aber die auf materiell-rechtlicher Grundlage ergehenden Entscheidungen über außergerichtliche Kosten nicht von vornherein der isolierten Anfechtung entzogen, selbst wenn sie in erster Instanz als Nebenforderung geltend gemacht worden sind.

1.2. Die Zulässigkeit der Berufung scheitert auch nicht an der Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Nur solange der materiell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch neben der Hauptforderung, aus der er sich herleitete, gerichtlich geltend gemacht wurde, stellte er eine Nebenforderung i.S.v. § 4 Abs. 1 ZPO dar, so dass er...

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