Leitsatz (amtlich)
Eine entsprechende Anwendung des Schutzgedankens des § 208 S. 1 BGB im Rahmen der Auslegung der §§ 301, 302 InsO kommt mangels Feststellbarkeit einer planwidrigen Regelungslücke nicht in Betracht.
Normenkette
BGB §§ 823, 253, 208; InsO §§ 301-302; StGB § 176 Abs. 1; StGB a.F. § 176a Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 22.12.2014 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des LG Bielefeld wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die am ... 1990 geborene Klägerin macht gegen den Beklagten Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche auf Grund eines nach ihrer Darstellung vom Beklagten im Dezember 2003 zu ihrem Nachteil begangenen sexuellen Missbrauchs geltend. Wegen des erstinstanzlich vorgetragenen Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils (Bl. 81 R ff. = 84 R ff. GA) verwiesen. Das LG hat mit dem angefochtenen Urteil die Klage abgewiesen, weil die streitgegenständlichen, im Insolvenzverfahren des Beklagten nicht rechtzeitig angemeldeten Ersatzforderungen - ihr Bestehen unterstellt - im Hinblick auf die dem Beklagten mit Beschluss des AG Bielefeld (Az.: 43 IK 1245/08) vom 18.11.2014 (richtig 13.11.2014) erteilte Restschuldbefreiung nicht mehr durchsetzbar seien, insbesondere auch § 208 BGB entgegen der Ansicht der Klägerin keine einschränkende Auslegung des § 302 InsO gegen Wortlaut und Zweck dieser Vorschrift rechtfertige. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen. Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie ihr Klagebegehren in vollem Umfang weiterverfolgt. Zur Begründung trägt sie - neben einer pauschalen Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen (vgl. Bl. 107 GA) - ergänzend im Wesentlichen vor:Das LG habe die Klage zu Unrecht abgewiesen, hätte vielmehr Beweis über den für die geltend gemachten Ansprüche maßgebenden streitigen Sachverhalt erheben müssen. Entgegen der landgerichtlichen Annahme stehe die dem Beklagten erteilte Restschuldbefreiung der Durchsetzbarkeit der geltend gemachten Ansprüche nicht entgegen. Wie bereits in erster Instanz geltend gemacht, könne die Restschuldbefreiung hier im Hinblick auf den vom Gesetzgeber in § 208 BGB zum Ausdruck gebrachten Willen, Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs in besonderer Weise zu schützen, nicht zugunsten des Beklagten wirken. Vielmehr müsse die Klägerin entsprechend dem - gegenüber den Regelungen der Restschuldbefreiung und deren Sinn und Zweck vorrangigen - Schutzgedanken des § 208 BGB so behandelt werden, als wäre dem Beklagten keine Restschuldbefreiung erteilt worden. Ansonsten würde der vom Gesetzgeber mit § 208 BGB bezweckte besondere Schutz der Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs letztlich bei insolventen Tätern unterlaufen. Im Übrigen bleibe es dabei, dass der klägerische Anspruch ohnehin erst nach dem Schlusstermin vom 18.12.2009 im Insolvenzverfahren voll entstanden sei, da gesundheitliche Schäden teilweise, insbesondere die (jedenfalls mitursächlich auf dem vom Beklagten begangenen Missbrauch beruhenden) gravierenden und zu dem ersten Suizidversuch im Juli 2011 führenden psychischen Beeinträchtigungen - als typische Missbrauchs-Spätfolgen - erst nachfolgend eingetreten seien. Dementsprechend hätte das LG über den für die geltend gemachten Ansprüche maßgebenden - in der Berufungsbegründung nochmals wiederholten und vertieften (vgl. i. e. Bl. 107 ff. GA) - Sachverhalt (namentlich entsprechend den jetzt - Bl. 108, 110 ff. GA - wiederholten klägerischen Beweisantritten) Beweis erheben müssen, wobei die Tat und ihre Umstände als solche im Strafverfahren vom Jugendschöffengericht mit rechtskräftigem Urteil vom 13.6.2005 (Az.: 190 Ls 66 Js 564/04 - AK 108/05 AG Bielefeld) zutreffend festgestellt worden seien.
Das geltend gemachte Schmerzensgeld von mindestens 10.000 EUR sei unter den gegebenen Umständen - insbesondere unter Berücksichtigung der (jetzt nochmals wiederholend und vertiefend) vorgetragenen und unter Beweis (namentlich Sachverständigenbeweis) gestellten gravierenden Folgen der Tat für die Klägerin bis hin zu Suizidversuchen, erstmals im Jahre 2011 - angemessen. Das Feststellungsinteresse ergebe sich aus der bei Missbrauchstaten der hier in Rede stehenden Art typischerweise bestehenden Gefahr weiterer psychischer und physischer Gesundheitsbeeinträchtigungen. Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils1...