Leitsatz (amtlich)

1. Auch ein Unfall infolge einer voreiligen - also objektiv und auch subjektiv nicht erforderlichen - Abwehr- oder Ausweichreaktion kann gegebenenfalls dem Betrieb des Kraftfahrzeugs gem. § 7 StVG zugerechnet werden, das diese Reaktion ausgelöst hat.

2. Stürzt ein den Gehweg befahrender Radfahrer, der einem auf dem Gehweg zurücksetzenden Pkw auf die Straße ausgewichen ist, erst beim Wiederauffahren auf den Gehsteig, führt dies nicht zu einer Verneinung des Zurechnungszusammenhangs zwischen Zurücksetzen und Ausweichmanöver.

 

Normenkette

StVG § 7; StVO § 9 Abs. 5

 

Verfahrensgang

LG Bielefeld (Aktenzeichen 2 O 264/17)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 17.05.2018 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld teilweise abgeändert.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 2.829,07 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.07.2015 und vorgerichtliche Kosten in Höhe von 368,76 EUR zu zahlen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 46 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 54 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Der Kläger macht Ersatz seines materiellen und immateriellen Schadens aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am ... .08.2014 auf der I Straße in C ereignet hat, und an dem der damals 12jährige Kläger als Radfahrer und die Beklagte zu 1 mit dem bei der Beklagten zu 3 krafthaftpflichtversicherten PKW des Beklagten zu 2 beteiligt waren.

Der Kläger befuhr unerlaubt den Gehweg der I Straße. Aus seiner Sicht von rechts beabsichtigte die Beklagte zu 1 ihr Fahrzeug vom Grundstück I Straße Nr. ... rückwärts über den Gehweg hinweg auf die Straße zurückzusetzen, um ihre Fahrt von dort aus fortzusetzen.

Der Kläger hat behauptet, der PKW sei unmittelbar vor ihm zur Hälfte auf den Gehweg gefahren. Deshalb sei er zur Vermeidung eines Zusammenstoßes um das Heck herum gefahren und auf die Fahrbahn ausgewichen. Beim Wiederauffahren auf den Gehsteig unmittelbar vor Ende der Bordsteinabsenkung sei er an der Bordsteinkante weggerutscht und gestürzt. Hierbei zog sich der Kläger einen Ellen- und Speichenbruch des linken Unterarmes zu.

Die Beklagten haben behauptet, der Kläger sei bereits infolge Nichtbeherrschung seines Fahrrads gestürzt, bevor die Beklagte zu 1 überhaupt rückwärts angefahren sei.

Das Landgericht hat den Kläger und die Beklagte zu 1) angehört und die Zeugen I2, B und B2 vernommen. Durch das angefochtene Urteil, auf das gem. § 540 ZPO Bezug genommen wird, soweit sich aus dem Nachstehenden nichts Abweichendes ergibt, hat das Landgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, beide Hergangsschilderungen seien plausibel. Hinweise auf die Richtigkeit der einen oder anderen Version bestünden nicht, so dass der Kläger dafür beweisfällig geblieben sei, dass es bei dem Betrieb des PKW des Beklagten zu 2 zu dem Sturz gekommen sei.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine Klageanträge fort. Er rügt die Beweiswürdigung des Landgerichts. Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil.

Der Senat hat den Kläger und die Beklagte zu 1 gem. § 141 ZPO angehört und den Zeugen I2 und die Zeuginnen B/B2 erneut vernommen. Wegen des Ergebnisses der Anhörung und Beweisaufnahme wird auf die hierüber aufgenommenen Berichterstattervermerke vom 06.03.und 28.05.2019 verwiesen.

Die Akten 815 Js 248/15 und 815 Js 567/15 der Staatsanwaltschaft Bielefeld lagen vor und waren Gegenstand der Erörterungen.

II. Die Berufung des Klägers hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Dem Kläger steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner ein sich aus §§ 7 Abs. 1, 11, 18 Abs. 1 StVG, §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 iVm § 229 StGB, §§ 249, 253 BGB, jeweils iVm § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG ergebender Anspruch auf Zahlung von 2.829,07 EUR nebst Zinsen und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten zu.

Der Kläger ist, wie es § 7 Abs. 1 StVG voraussetzt, bei dem Betrieb des von der Beklagten zu 1 gesteuerten Kraftfahrzeugs des Beklagten zu 2 verletzt worden, so dass die Beklagten dem Kläger zum Ersatz des diesem hieraus entstandenen Schadens verpflichtet sind. Der Haftung der Beklagten nach § 7 Abs. 1 StVG steht nicht entgegen, dass es zu keiner Kollision zwischen dem Fahrrad des Klägers und dem PKW des Beklagten zu 2 gekommen ist. Denn die Haftung gemäß § 7 StVG hängt nicht davon ab, ob es zu einer Berührung zwischen dem im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeug und einem weiteren Verkehrsteilnehmer kommt. Allerdings begründet allein die Anwesenheit eines im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle noch nicht die Annahme, der Unfall sei bei dem Betrieb dieses Fahrzeugs entstanden. Erforderlich ist vielmehr, dass die Fahrweise oder der Betrieb dieses Fahrzeugs zu dem Entstehen des Unfalls beigetragen hat (Laws/Lohmeyer/Vinke in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 7 StVG, Rn. 34). Diesen Ursachenzusammenhang muss der Gesch...

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