Entscheidungsstichwort (Thema)
Handelsrichter als Geschäftsführer einer Partei; Ablehnung des ordentlichen Vorsitzenden
Leitsatz (amtlich)
Der ordentliche Vorsitzende einer Kammer für Handelssachen kann in einem Rechtsstreit, in dem ein der Kammer angehörender Handelsrichter der Geschäftsführer einer der Parteien ist, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.
Normenkette
ZPO § 42 Abs. 2, § 46 Abs. 2, § 48
Verfahrensgang
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des stellvertretenden Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen des LG Offenburg vom 16.11.2005 - 5 O 91/05 KfH - dahin abgeändert, dass die Selbstablehnung des ordentlichen Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen des LG Offenburg, Vizepräsident des LG Dr. S., für begründet erklärt wird.
Gründe
I. In dem bei der Kammer für Handelssachen des LG Offenburg anhängigen Rechtsstreit 5 O 91/05 KfH hat deren Vorsitzender unter dem 21.7.2005 gem. § 48 ZPO angezeigt, dass der Geschäftsführer der klagenden GmbH als ehrenamtlicher Handelsrichter Mitglied der zuständigen Kammer für Handelssachen ist. Mit Beschluss vom 16.11.2005, der der Beklagten am 21.11.2005 zugestellt wurde, hat der stellvertretende Vorsitzende der Kammer für Handelssachen ausgesprochen, dass die angezeigten Umstände eine Ablehnung nicht rechtfertigen. Hiergegen richtet sich die fristgemäß eingelegte sofortige Beschwerde der Beklagten, welcher das LG durch Beschluss vom 9.1.2006 nicht abgeholfen hat.
II. Die nach wohl überwiegender Meinung gem. § 46 Abs. 2 ZPO statthafte Beschwerde (BGH v. 8.11.1994 - XI ZR 35/94, MDR 1995, 409 = NJW 1995, 403 f.; OLG Karlsruhe v. 5.11.1998 - 14 W 58/98, MDR 1999, 956 = NJW-RR 2000, 591; Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl. 2005, § 48 Rz. 3; Musielak/Heinrich, ZPO, 4. Aufl. 2005, § 48 Rz. 4; a.A. etwa Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl. 2004, § 48 Rz. 4) hat auch in der Sache Erfolg.
1. Die Selbstablehnung eines Richters (§ 48 ZPO) ist unter den Voraussetzungen des § 42 Abs. 2 ZPO begründet. Danach findet die Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit statt, wenn ein das Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit rechtfertigender Grund vorliegt. Dies ist der Fall, wenn die aufgeführten Tatsachen vom Standpunkt eines ruhig abwägenden Verfahrensbeteiligten aus betrachtet geeignet erscheinen, Zweifel an der Unparteilichkeit des betreffenden Richters zu wecken (BayObLGZ 1986, 249 ff. [252 ff.], m.w.N.).
2. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben:
Es ist zwar allgemein anerkannt, dass allein die Zugehörigkeit einer Partei bzw. ihres gesetzlichen Vertreters zum selben Gericht eine Ablehnung in der Regel nicht begründen kann. Ein Kollegialverhältnis kann aber dann berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit hervorrufen, wenn es zu einer regelmäßigen Zusammenarbeit führt, wie das nicht nur zwischen Berufsrichtern, die demselben Spruchkörper angehören, sondern auch zwischen dem ordentlichen Vorsitzenden einer Kammer für Handelssachen und den seiner Kammer angehörenden Handelsrichtern der Fall ist. Hier wie dort ist die gemeinsame Zugehörigkeit zu demselben Spruchkörper auf eine offene und vertrauensvolle Zusammenarbeit auch für die Zukunft angelegt. Die Besorgnis einer Partei, dass dieses Verhältnis möglicherweise zu einer unbewussten Solidarisierung mit negativer Auswirkung auf die Behandlung ihrer Sache führt, ist daher mit der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur als objektiver und vernünftiger Grund für eine Ablehnung des ordentlichen Vorsitzenden einer Kammer für Handelssachen, welcher der gesetzliche Vertreter einer Partei als Handelsrichter angehört, anzuerkennen (OLG Nürnberg NJW 1967, 1964; OLG Hamm MDR 1978, 583; Wieczorek/Neumann, ZPO, 3. Aufl. 1994, § 42 Rz. 16; Zimmermann, ZPO, 5. Aufl. 1998, § 42 Rz. 11; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 42 Rz. 12a; Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl. 2005, § 42 Rz. 10; Baumbach/Hartmann, ZPO, 64. Aufl. 2006, § 42 Rz. 30, Stichwort "Kollegialität"; auch Musielak/Heinrich, ZPO, 4. Aufl. 2005, § 42 Rz. 15; a.A. OLG Schleswig v. 1.12.1987 - 1 W 63/87, 1 W 88/87, MDR 1988, 236 f.; Feiber in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl. 2000, § 42 Rz. 12).
III. Die angefochtene Entscheidung war deshalb dahin abzuändern, dass die Selbstablehnung des Vizepräsidenten des LG Dr. S. für begründet erklärt wird.
Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst, weil die Kosten der erfolgreichen Beschwerde solche des Rechtsstreits sind (Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl. 2005, § 46 Rz. 9, m.w.N.).
Fundstellen
ZAP 2007, 66 |
MDR 2006, 1185 |
NJOZ 2006, 1958 |
OLGR-Süd 2006, 535 |