Leitsatz (amtlich)

Das der Bewilligungsbehörde im Rahmen der Vorabbewilligung einer Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls gesetzlich in §§ 79, 83a IRG zugebilligte Bewilligungsermessen ist rahmenbeschlusskonform dahingehend auszulegen, dass dieses wegen der Weisungsabhängigkeit und fehlenden Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft einer vollumfänglichen gerichtlichen Überprüfung und gerichtlichen Bestätigung im Rahmen der Zulässigkeitsentscheidung durch das Oberlandesgericht unterliegt (Anschluss an EuGH, Urteile vom 27.05.2019 - C 508/19 und C 82/19 PPU, NJW 2019, 2145 ff.).

 

Normenkette

IRG §§ 32, 79, 83b; RB-EuHb Art. 6 Abs. 2; GVG § 147; AUEV Art. 267

 

Tenor

  1. Die Auslieferung des Verfolgten nach Ungarn zur Strafvollstreckung aufgrund des Europäischen Haftbefehls des Gerichtshofs in Y./Ungarn vom 19. Juli 2019 wird für zulässig erklärt.
  2. Die Entschließung der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 20. Dezember 2019, keine Bewilligungshindernisse geltend machen zu wollen, wird nach vollumfänglicher Überprüfung gerichtlich bestätigt.
  3. Die Auslieferungshaft hat fortzudauern (§ 26 IRG).
 

Gründe

I.

Gegen den sich seit seiner vorläufigen Festnahme am 11.12.2019 aufgrund des Senatsbeschlusses vom 16.12.2019 in Auslieferungshaft befindlichen Verfolgten besteht ein Europäischer Haftbefehl des Gerichtshofs in Y./Ungarn vom 19.07.2019, aus welchem sich ergibt, dass der Verfolgte durch vollstreckbares Urteil des Amtsgerichts Z./Ungarn vom 13.03.2017, rechtskräftig durch das Urteil des Gerichtshofs in Y./Ungarn vom 24.04.2018, zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt wurde, welche noch vollständig zu Verbüßung ansteht.

Dem Verfolgten werden im Europäischen Haftbefehl nebst rechtlicher Würdigung die Begehung folgender Straftaten vorgeworfen:

Wird ausgeführt:

Der Verfolgte hat einer vereinfachten Auslieferung bei seinen richterlichen Anhörungen am 12.12.2019 vor dem Amtsgericht E/Deutschland und am 18.12.2019 vor dem Amtsgericht F./Deutschland nicht zugestimmt und die gegen ihn erhobenen Vorwürfe in Abrede gestellt. Von den abgeurteilten Straftaten habe er nur eine begangen, bei den anderen Diebstahlstaten sei er gar nicht dabei gewesen. Die Polizei habe ihn zur Abgabe eines Geständnisses gezwungen, weshalb die Staatsanwaltschaft in Y./Ungarn auch ein Verfahren gegen die Polizeibehörde eingeleitet habe. Er sei nur verurteilt worden, weil er schon früher Diebstahlstaten begangen habe und dafür inhaftiert worden sei. Mit seiner jetzigen Lebensgefährtin wohne er etwa seit einem Jahr in Deutschland, auch seine Mutter und sein Bruder lebten hier. Seine Lebensgefährtin erwarte ein Kind von ihm, wohingegen seine zwei eigenen Kinder weiterhin in Ungarn bei seiner früheren Lebenspartnerin lebten, zu welcher er aber keinen Kontakt mehr pflege. In den vergangenen Jahren sei er bei verschiedenen Baufirmen in Deutschland, Belgien und Holland beschäftigt gewesen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat am 20.12.2019 beantragt, die Auslieferung des Verfolgten im nachgesuchten Umfang für zulässig zu erklären. Zugleich hat sie entschieden, dass nicht beabsichtigt sei, Bewilligungshindernisse geltend zu machen. Hierzu hat sich die Rechtsbeiständin innerhalb der ihr bis zum 21.02.2020 gesetzten Frist nicht geäußert.

Weitere Einwendungen gegen die Zulässigkeit seiner Auslieferung hat der Verfolgte auch über seine Rechtsbeiständin nicht erhoben.

II.

Die Auslieferung des Verfolgten nach Ungarn zur Strafvollstreckung aufgrund des Europäischen Haftbefehls des Gerichtshofs in Y./Ungarn vom 19.07.2019 ist zulässig, da die Auslieferungsvoraussetzungen vorliegen und Auslieferungshindernisse nicht bestehen. Insoweit nimmt der Senat zunächst Bezug auf die Gründe seiner Beschlüsse vom 16.12.2019 und 11.02.2020, welche unverändert fortgelten. Ergänzend ist lediglich zu bemerken:

Soweit der Verfolgte bei seinen richterlichen Anhörungen vor den Amtsgerichten E./Deutschland und F./Deutschland den gegen ihn von den ungarischen Justizbehörden erhobenen und vorliegend sogar rechtskräftig abgeurteilten Tatvorwurf in Abrede stellt, verkennt er, dass eine Tatverdachtsprüfung auch und gerade bei Auslieferungen aufgrund eines Europäischen Haftbefehls grundsätzlich nicht stattfindet (Senat StV 2007, 650, und Beschlüsse vom 10.11.2015 - 1 AK 111/14 - und 27.06.2016 - 1 AK 127/15 - und zuletzt vom 28.02.2019, Ausl 301 AR 185/18; BVerfG, Beschluss vom 28.07.2016 - 2 BvR 1468/16 - jeweils abgedruckt bei juris; Hackner in: Schomburg/Lagodny, IRG, 6. Auflage 2020, § 10 Rn. 29 ff., 51 ff.; § 78 Rn. 14 ff.; Böhm, in: Ahlbrecht/Böhm/Esser/Eckelmanns, Internationales Strafrecht, 2. Auflage 2017, Rn. 932 ff.). Das deutsche Auslieferungsverfahren ist nämlich kein eigenständiges Strafverfahren, sondern lediglich ein Verfahren zur Unterstützung einer ausländischen Strafverfolgung. Es überlässt deshalb jedenfalls im vertraglichen Auslieferungsverkehr die Prüfung des Tatverdachts dem ausländischen Verfahren und überträgt dem inländischen Richter, der ...

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