Leitsatz (amtlich)

Zum Anwaltsverschulden im Rahmen des Fristenwesens in der Kanzlei:

Zwar darf ein Rechtsanwalt die Berechnung und Notierung von Routinefristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft überlassen. In diesem Fall ist jedoch eine anwaltliche Pflicht zur Gegenkontrolle der Fristen nicht nur anzunehmen bei Vorlage der Handakte zur Fertigung eines fristgebundenen Schriftsatzes, sondern gerade auch dann, wenn der Rechtsanwalt erkennen muss, dass ihm die Handakte zur Fertigung eines fristgebundenen Schriftsatzes vorliegen müsste, aber tatsächlich nicht vorgelegt wurde.

 

Normenkette

ZPO §§ 233, 85

 

Verfahrensgang

LG Mannheim (Urteil vom 25.10.2016; Aktenzeichen 1 O 157/13)

 

Tenor

1. Der Antrag der Kläger auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.

2. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des LG Mannheim vom 25.10.2016 - 1 O 157/13 - wird verworfen.

3. Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien sind Nachbarn und streiten um die Erstattung von Kosten für die Instandsetzung einer verstopften Regenwasserleitung.

Das LG hat die Klage mit Urteil vom 25.10.2016, den Klägern zugestellt am 09.11.2016, teilweise abgewiesen.

Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer am 09.12.2016 eingegangenen Berufung. Diese haben sie mit Schriftsatz vom 10.01.2017, eingegangen am selben Tage, begründet und zugleich Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist beantragt.

Zur Fristversäumung haben sie - unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung der Fachangestellten Ma. - vorgetragen, der sachbearbeitende Rechtsanwalt Dr. M. habe am 09.11.2016 das Anlegen einer Berufungsakte, die Eintragung der Fristen im Kalender und die sofortige Wiedervorlage der Handakte nebst Ausführungsvermerk verfügt. Die bislang stets zuverlässige Rechtsanwaltsfachangestellte Ma., der er dies aufgetragen habe, habe diese Anweisungen in seiner Gegenwart notiert und die Akte angelegt, die Eintragung der Fristen aber - obwohl sie bisher stets zuverlässig gearbeitet habe - vergessen und die Akte erst am 10.01.2017 wieder bemerkt.

Der Senat hat mit Hinweis vom 13.03.2016 darauf hingewiesen, dass die Fristen nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt notiert worden seien, dass aus dem Vorbringen der Kläger nicht hervorgehe, weshalb der Vorgang Rechtsanwalt Dr. M. am Tag der Unterzeichnung der Berufungsbegründung - 08.12.2016 - vorgelegen habe, dass die anwaltliche Sorgfaltspflicht es gebiete, sich zumindest anhand eines Erledigungsvermerks in der Handakte von der Notierung der Fristen zu überzeugen, und dass die Anweisung des Rechtsanwalts Dr. M., die Fristen nicht sofort, sondern erst nach Anlegung der Berufungsakte zu notieren, fehlerträchtig gewesen sei und ihn deshalb nicht von der Pflicht zur Gegenkontrolle entbunden habe, ferner dass ihm jedenfalls hätte auffallen müssen, dass ihm die Akte entgegen seiner Weisung nicht "sofort" wieder vorgelegt wurde.

Die Kläger haben hierauf mit Schriftsatz vom 18.04.2017 klargestellt, dass die Weisung, eine Akte anzulegen und die Fristen zu notieren, bereits am 09.11.2016 erteilt worden sei. Ferner haben sie ausgeführt, Rechtsanwalt Dr. M. habe bereits am 09.11.2016 die Berufungsschrift unterzeichnet und in die Postmappe gelegt, um sie im Mandatierungsfalle abzusenden, den Klägern aber möglichst lange Bedenkzeit zu lassen. Am 08.12.2016 habe er sie selbst abgesandt, ohne die Handakte beizuziehen. Ferner wurde weiter zur Kanzleiorganisation vorgetragen, und es wurden eine weitere eidesstattliche Versicherung der Fachangestellten Ma. sowie eine solche des Rechtsanwalts Dr. M. vorgelegt.

In rechtlicher Hinsicht machen die Kläger geltend, es liege kein Anwaltsverschulden vor. Der Rechtsanwalt sei, wenn er die Fristennotierung zulässig an geeignetes Personal delegiert habe, nur dann verpflichtet, sich durch Prüfung eines vom Personal in der Handakte anzubringenden Erledigungsvermerkes von der Notierung der Frist zu überzeugen, wenn ihm die Handakte zur Fertigung eines fristengebundenen Schriftsatzes vorgelegt werde, was hier nicht geschehen sei. Zu einer Gegenkontrolle sei Rechtsanwalt Dr. M. nicht verpflichtet gewesen, da er auf die Ausführung seiner zur sofortigen Erledigung erteilten Einzelanweisung vom 09.11.2016 habe vertrauen dürfen. Die von ihm erteilte Weisung sei nicht in besonderem Maße fehlerträchtig gewesen. Die vom Senat mit Hinweis vom 16.03.2017 zitierte Entscheidung BGH NJOZ 2016, 265 habe eine von den allgemeinen Organisationsstrukturen der dort betroffenen Kanzlei nicht gedeckte Anweisung des Rechtsanwaltes bei einem bereits unmittelbar vorangegangenen Fehler bei der Fristbearbeitung betroffen, wohingegen im vorliegenden Fall das von Rechtsanwalt Dr. M. verfügte Vorgehen ohnehin der einschlägigen allgemeinen und unmissverständlichen Kanzleianweisung entsprochen habe.

Die Kläger beantragen, Wiedereinsetzung in de...

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