Leitsatz (amtlich)

Nach § 115 Abs. 1 ZPO ist grundsätzlich auf das tatsächlich vorhandene Einkommen der Partei abzustellen. Das erzielbare statt des tatsächlichen Einkommens kann allenfalls dann angesetzt werden, wenn es sonst zu einer missbräuchlichen Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe durch arbeitsunwillige Personen käme.

 

Verfahrensgang

AG Mannheim (Beschluss vom 02.12.2002; Aktenzeichen 5E F 324/01)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners wird der Prozesskostenhilfe versagende Beschluss des AG – FamG – Mannheim vom 2.12.2002 – 5E F 324/01 – aufgehoben.

Die erneute Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch des Antragsgegners wird dem AG übertragen.

 

Gründe

Der Antragsgegner begehrt Prozesskostenhilfe zur Rechtsverfolgung in einem Ehescheidungsrechtsstreit, in welchem er seinerseits Scheidungsantrag stellen will. Das AG hat Prozesskostenhilfe mit der Begründung versagt, der seit 4.2.2002 arbeitslose Antragsgegner sei auf die Ausnutzung seiner Arbeitskraft vor Inanspruchnahme staatlicher Sozialhilfeleistung zu verweisen. Er habe weder nachvollziehbar dargetan noch glaubhaft gemacht, dass er sich nachhaltig um Arbeit bemüht und ihm dennoch der Arbeitsmarkt gänzlich verschlossen sei. Bedürftigkeit i.S.d. § 114 ZPO könne deswegen nicht angenommen werden.

Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg.

Nach § 115 Abs. 1 ZPO ist grundsätzlich auf das tatsächlich vorhandene Einkommen der Partei abzustellen. Dies besteht bei dem Antragsgegner aus Arbeitslosengeld i.H.v. 163,10 Euro wöchentlich. Das erzielbare statt des tatsächlichen Einkommens kann allenfalls dann angesetzt werden, wenn es sonst zu einer missbräuchlichen Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe durch arbeitsunlustige Personen käme (vgl. zuletzt OLG Karlsruhe, Beschl. v. 21.10.1998 – 16 WF 103/98, FamRZ 1999, 599). Die Verletzung einer Erwerbsobliegenheit mag unterhaltsrechtlich zur Fiktion eines Einkommens führen, tut es jedoch nicht im Sozialhilferecht. Einkommen i.S.d. § 76 Abs. 1 BSHG sind nur die Einkünfte, die tatsächlich zur Verfügung stehen; fiktive Einkünfte sind grundsätzlich nicht zu berücksichtigen (BGH v. 11.3.1998 – XII ZR 190/96, MDR 1998, 599 = FamRZ 1998, 818). Weigert sich ein Hilfesuchender ggü. der Sozialhilfebehörde, zumutbare Arbeit zu leisten oder zumutbaren Maßnahmen nach den §§ 19, 20 BSHG nachzukommen, wird der Hilfesuchende nicht aus der Betreuung des Sozialhilfeträgers entlassen, sondern verliert lediglich den Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt. Der Sozialhilfeträger wird bei der Gestaltung der Hilfe und ihrer Anpassung an die Besonderheiten des Einzelfalles freier gestellt. Er kann z.B. die Hilfe bis auf das Unerlässliche kürzen, um so zu versuchen, den Hilfesuchenden zur Arbeit anzuhalten und ihn so letzten Endes auf den Weg zur Selbsthilfe zu führen (vgl. BVerwG v. 17.5.1995 – 5 C 20/93, FamRZ 1996, 106 [107], m.w.N.; BGH v. 11.3.1998 – XII ZR 190/96, MDR 1998, 599 = FamRZ 1998, 818).

Das Prozesskostenhilferecht enthält solche Gestaltungsmöglichkeiten nicht. Bei dem gleichwohl möglichen Rückgriff auf allgemeine Rechtsgrundsätze bleibt nur die Möglichkeit, der bedürftigen Partei Rechtsmissbrauch entgegen zu halten. Anhaltspunkte für rechtsmissbräuchliches Verhalten des Antragsgegners sieht der Senat nicht.

Selbst wenn entspr. Rechtsmissbrauch des Antragsgegners festgestellt werden könnte, käme nicht in Betracht, Prozesskostenhilfe gänzlich zu versagen. Vielmehr wäre nur das erzielbare Einkommen zu unterstellen, welches mit dem zur Berechnung des Arbeitslosengeldes ermittelten Leistungsentgelt angenommen werden kann. Dieses beträgt 243,40 Euro wöchentlich und liegt damit nicht so hoch, dass gem. § 115 Abs. 3 ZPO Prozesskostenhilfe zu versagen wäre. Andererseits sind bei einem Arbeitslosengeld von 163,10 Euro wöchentlich, 709 Euro monatlich, 360 Euro Einkommensfreibetrag und 288,88 Euro Wohnkosten noch 30 Euro Monatsraten anzuordnen. Ein Rechtsmissbrauch würde sich deshalb allenfalls bei der Höhe und ggf. der Zahl der Monatsraten auswirken. In diesem Fall wäre sogar zu überlegen, ob, Rechtsmissbrauch erneut unterstellt, nicht darauf verzichtet werden müsste, ihn überhaupt zu sanktionieren.

Da das AG die Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung noch nicht geprüft hat, ist ihm die erneute Entscheidung über das Prozesskostenhilfe des Antragsgegners insgesamt zu übertragen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1124399

FamRZ 2004, 644

JWO-FamR 2004, 27

OLGR-KS 2004, 189

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