Leitsatz (amtlich)

Auch bei Ruhen der elterlichen Sorge nach § 1674 Abs. 1 BGB kann ein rechtlich schützenswertes Interesse für einen Antrag des anderen Elternteils nach § 1671 Abs. 1 BGB bestehen mit dem Ziel, auch die Sorgerechtssubstanz auf den allein Ausübungsberechtigten zu konzentrieren.

 

Verfahrensgang

AG Konstanz (Beschluss vom 03.09.2015; Aktenzeichen 5 F 166/15)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Konstanz vom 03.09.2015 (5 F 166/15) dahingehend abgeändert, dass der Antragstellerin die elterliche Sorge für das Kind..., geboren am..., allein übertragen wird.

2. Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen. Außergerichtlichen Kosten der Beteiligte werden nicht erstattet.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die elterliche Sorge für das Kind...

Die Antragstellerin ist die Mutter des am... geborenen... Vater des Kindes ist... Die Eltern sind nicht verheiratet. Sie gaben am 22.05.2007 vor dem Sozial- und Jugendamt... die Erklärung ab, die Sorge für... gemeinsam übernehmen zu wollen.

Im Sommer 2010 trennten sich die Eltern... lebte seitdem ununterbrochen im Haushalt der Kindesmutter. Der Kindesvater nahm unregelmäßig Umgangskontakte mit... war. Seit August/September 2014 haben weder die Kindesmutter noch... Kontakt zum Kindesvater. Die Kindesmutter weiß nicht, wo der Vater sich zur Zeit aufhält.

Am 10.04.2015 reiste der Kindesvater über die... ins irakisch-syrische Grenzgebiet aus. Am 19.04.2015 und am 29.05.2015 lud er im Netzwerk Facebook zu seinem Profil Fotos hoch, welche ihn im Kampfanzug und mit Waffen zeigen. Auf einem Bild hebt er seinen Zeigefinger der rechten Hand zum "IS-Gruß". Auf einem anderen Bild hält er die Flagge des Islamischen Staats im Irak und in Großsyrien (im Folgenden: ISIG) in der Hand. Ebenfalls am 29.05.2015 teilte er über Facebook mit: "bin jetzt ISIS"; er halte sich im Irak auf.

Mit Schriftsatz vom 03.08.2015 beantragte die Kindesmutter, ihr das Sorgerecht für... allein zu übertragen. Sie habe große Sorge davor, wie der Kindesvater sich verhalten könne, wenn er nach Deutschland zurückkehre.

Mit Beschluss vom 03.09.2015 stellte das AG - Familiengericht - Konstanz fest, dass der Kindesvater für... auf längere Zeit die elterliche Sorge tatsächlich nicht ausüben könne. Den Antrag der Kindesmutter auf Übertragung der elterlichen Sorge wies das AG zurück. Begründend führte es aus, dass der Kindesvater an der Ausübung der elterlichen Sorge gehindert sei. Entzogen werden könne ihm die elterliche Sorge nicht, da er, weil unbekannten Aufenthalts, nicht verfahrensordnungsgemäß persönlich angehört habe werden könne. Eine Übertragung sei auch nicht erforderlich, da die elterliche Sorge ruhe. Für die Einzelheiten wird auf den Beschluss des Familiengerichts Bezug genommen.

Gegen den ihr am 10.09.2015 zugestellten Beschluss legte die Kindesmutter mit am 09.10.2015 beim AG Konstanz eingegangenem Schriftsatz Beschwerde ein. Im Hinblick darauf, dass sich der Kindesvater dem ISIG und damit einer Terrormiliz angeschlossen habe, die brutales und menschenverachtendes Auftreten billige, sei das Wohl ihres Kindes... gefährdet, wenn ihr nicht die elterliche Sorge allein übertragen werde. Zudem habe sich der Kindesvater auch schon vor seinem Anschluss an den ISIG gegenüber... desinteressiert und gleichgültig gezeigt.

Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe ermittelt gegen den Kindesvater wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (Az...). Der Aufenthaltsort des Kindesvaters ist der Staatsanwaltschaft Karlsruhe unbekannt. Es gebe Anhaltspunkte dafür, dass er sich im irakisch-syrische Grenzgebiet befinde.

Der Senat hat die Kindesmutter in der Sitzung vom 05.04.2016 angehört. Für die Einzelheiten wird auf den Anhörungsvermerk verwiesen. Der mittels öffentlicher Zustellung geladene Kindesvater ist zum Anhörungstermin nicht erschienen.

II. Die zulässige Beschwerde ist begründet.

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Das erforderliche Rechtsschutzinteresse liegt vor.

Zwar hat die Feststellung, dass die elterliche Sorge des Vaters ruht, grundsätzlich dieselbe Wirkung wie eine Übertragung der elterlichen Sorge auf die Mutter: §§ 1677, 1678 BGB bestimmen, dass ein Elternteil, dessen elterliche Sorge ruht, nicht berechtigt ist, die elterliche Sorge auszuüben. Allerdings bleibt im Falle des Ruhens der elterlichen Sorge der verhinderte Elternteil grundsätzlich deren Inhaber; das Recht geht in seiner Substanz nicht verloren und lebt bei Wegfall des Verhinderungsgrundes gemäß § 1674 Abs. 2 BGB wieder auf (Staudinger/Coester, BGB, Bearbeitung 2016, § 1671 Rn. 36, § 1674 Rn. 5; Johannsen/Henrich/Jaeger, Familienrecht, 6. Auflage 2015, § 1671 Rn. 14; BeckOK BGB/Veit, Stand: 01.05.2015, § 1671 Rn. 14 und 48; jurisPK-BGB/Poncelet, 7. Auflage 2014, § 1671 Rn. 10). Von daher kann auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1674 Abs. 1 BGB ein rechtlich schützen...

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