Leitsatz (amtlich)
1. "Ähnliche Hinweise" im Sinn von Art. 69 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 und Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Biozid-VO sind Hinweise auf die Eigenschaften des Biozids hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit, die in ihrer pauschalen Verharmlosung den in diesen Vorschriften beispielhaft genannten Angaben gleichstehen. Hierfür genügt es noch nicht, wenn der in Rede stehende Hinweis sich einer der beispielhaft genannten Angaben in der Weise zuordnen lässt, dass Letztere den Oberbegriff bildet.
2. Danach sind die Angaben "ökologisch" und "Bio" für ein Desinfektionsmittel als "ähnliche Hinweise" im Sinn der genannten Vorschriften unzulässig, weil sie mit dem verbotenen Begriff "natürlich" inhaltlich übereinstimmen, zumindest aber mit diesem eng verwandt sind und eine gleichermaßen pauschale Verharmlosung der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Einklangs mit der Ökologie durch schonenden Umgang mit Naturressourcen zum Ausdruck bringen.
3. Die Bewerbung eines Desinfektionsmittels als "Hautfreundlich" ist kein verbotener "ähnlicher Hinweis" im Sinn der genannten Vorschriften, weil sie das Risikopotential des Produkts oder seiner Wirkungen und deren Schädigungseignung weder allgemein (wie "Biozidprodukt mit niedrigem Risikopotenzial", "unschädlich", "ungiftig") noch wenigstens speziell hinsichtlich eines der Schutzgüter umfassend (Gesundheit von Mensch oder Tier oder Umwelt) in pauschaler Weise relativiert, sondern die Produktwirkung auf ein spezifisches Organ, nämlich die Haut des Menschen, beschreibt.
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 25. März 2021, Az. 14 O 61/20 KfH, im Kostenpunkt aufgehoben und in der Sache geändert, indem es wie folgt neu gefasst wird:
1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgelds und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000 EUR, Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre, zur Vollstreckung an dem Geschäftsführer) zu unterlassen,
im geschäftlichen Verkehr Desinfektionsmittel, insbesondere "[...]", als "ökologisches Universal-Breitband-Desinfektionsmittel" und/oder "Bio", in der Werbung (auch im Internet) oder auf dem Produktetikett zu bezeichnen oder zu vertreiben (jeweils selbst oder durch Dritte).
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 294 EUR zuzüglich Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 6. Oktober 2020 zu zahlen.
3. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Nebenintervention trägt der Kläger ein Drittel. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte mit Ausnahme der übrigen Kosten der Nebenintervention, welche die Streithelferin selbst trägt.
III. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung hinsichtlich Nr. I.1. (Unterlassung) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 16.666 EUR und hinsichtlich Nr. I.2 gegen Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund dieser Verurteilung vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung hinsichtlich Nr. I.1 Sicherheit in Höhe von 16.666 EUR bzw. in Höhe von 110 % des jeweils aufgrund von Nr. I.2 zu vollstreckenden Betrags leistet. Die Vollstreckung hinsichtlich der Kosten kann der jeweilige Vollstreckungsschuldner durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger gegen ihn vollstreckbaren Kostenbetrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Kostenbetrags leistet.
IV. Die Revision wird im Umfang der Teilklageabweisung (vorstehend I.3.) zugelassen; im Übrigen wird sie nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte wegen behaupteten unlauteren Wettbewerbs auf Unterlassung und Ersatz von Abmahnkosten in Anspruch.
Der Kläger ist ein Verein zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Ihm gehören ca. 2.000 Mitglieder an, darunter der Deutscher Industrie- und Handelskammertag e.V., die Industrie- und Handelskammern (bis auf eine), die Handwerkskammern und etwa 600 Verbände. Die Beklagte ist eine bundesweit operierende Drogeriemarktkette.
Die Streithelferin der Beklagten ist Herstellerin des Desinfektionsmittels mit der Bezeichnung "[...]". Dieses Produkt enthält Natriumhypochlorit (NaClO) in einer Konzentration von 0,049 Gewichtsprozent. Es ist mit dem D[...]-Siegel "sehr gut" (06/2020) ausgezeichnet, das vergeben...