Leitsatz (amtlich)
Ein Recht des Versicherers zur Beitragserhöhung für eine zur Pflegetagegeldversicherung zusätzlich vereinbarte Beitragsbefreiungskomponente folgt nicht schon daraus, dass eine Beitragserhöhung für den im Versicherungsfall beitragsfrei zu stellenden Tarif erfolgt und in den AVB vereinbart ist, dass die "Beitragsbefreiung (...) stets für den gesamten Beitrag der versicherten Pflegegeld-Tarifstufen vereinbart sein" muss.
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Urteil vom 27.04.2022; Aktenzeichen 8 O 250/21) |
Tenor
I. Auf die Berufungen der Parteien wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 27.04.2022 (8 O 250/21) im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:
1. Es wird festgestellt, dass die Neufestsetzung der Beiträge im Tarif BO... zum 01.01.2018 in der zwischen dem Beklagten und der Klägerin bestehenden privaten Kranken- und Pflegezusatzversicherung bis zum 01.01.2022 unwirksam war und die Klägerin bis zum 31.12.2019 nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrags verpflichtet war.
2. Es wird festgestellt, dass die Neufestsetzung der Beiträge im Tarif 4... (Beitragsbefreiungskomponente) zum 01.01.2016, zum 01.01.2019 und zum 01.01.2020 in der zwischen dem Beklagten und der Klägerin bestehenden privaten Kranken- und Pflegezusatzversicherung unwirksam waren und die Klägerin bis zum 31.12.2020 nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrags verpflichtet war.
3. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.347,36 EUR zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.10.2021.
4. Es wird festgestellt, dass der Beklagte der Klägerin zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die er bis zum 12.10.2021 aus denjenigen Prämienanteilen gezogen hat, welche die Klägerin im Zeitraum vom 01.01.2018 bis 31.12.2019 auf die unter Ziff. 1 und bis 31.12.2020 auf die unter Ziff. 2 benannte Beitragserhöhung geleistet hat.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen
II. Die weitergehenden Berufungen beider Parteien werden zurückgewiesen.
III. Von den Kosten der ersten Instanz trägt die Klägerin 91 % und der Beklagte 9 %, von den Kosten der Berufungsinstanz trägt die Klägerin 86 % und der Beklagte 14 %.
IV. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 9.470,- EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragsanpassungen in der privaten Kranken- und Pflegezusatzversicherung der Klägerin.
Die Klägerin ist beim Beklagten krankenversichert unter der Versicherungsnummer ... Dem Vertrag liegen unter anderem die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die ergänzende Pflegekrankenversicherung (AB/PV 2017) und die Tarifbedingungen für die Pflegetagegeldversicherung (TB/PTV 2017) zugrunde. In Letzterer heißt es unter anderem:
4. Beitragsbefreiung
Zusätzlich zum Pflegetagegeld kann eine Beitragsbefreiung vereinbart werden:
[...]
4.2 [...] Die Beitragsbefreiung muss stets für den gesamten Beitrag der versicherten Pflegetagegeld-Tarifstufen vereinbart sein.
Vereinbart sind insbesondere die folgenden Tarife:
- BO... (bisex/unisex): Krankheitskostenversicherung
- 4... PrivatPflege Grad 3-5: Pflegetagegeldversicherung
- 4... PrivatPflege Grad 4-5: Pflegetagegeldversicherung
- 4... Beitragsbefreiungskomponente: Beitragsbefreiung bzgl. Pflegetagegeldversicherung
Seit dem 01.01.2015 ist es in diesen Tarifen die Klägerin betreffend u.a. zu folgenden Beitragsanpassungen gekommen:
- im Tarif BO... (bisex) zum 01.01.2015 in Höhe von 23,66 EUR
- im Tarif 4... Beitragsbefreiungskomponente zum 01.01.2016 in Höhe von 0,30 EUR
- im Tarif BO... (unisex) zum 01.01.2018 in Höhe von 54,80 EUR
- im Tarif 4... Beitragsbefreiungskomponente zum 01.01.2019 in Höhe von 0,68 EUR
- im Tarif 4... PrivatPflege Grad 3-5 zum 01.01.2019 in Höhe von 1,67 EUR
- im Tarif 4... PrivatPflege Grad 4-5 zum 01.01.2019 in Höhe von 1,66 EUR
- im Tarif 4... PrivatPflege Grad 3-5 zum 01.01.2020 in Höhe von 1,86 EUR
- im Tarif 4... Beitragsbefreiungskomponente zum 01.01.2020 in Höhe von 0,42 EUR
- im Tarif BO... (unisex) zum 01.01.2020 in Höhe von 59,90 EUR
Zum 01.01.2017 erfolgte ein Wechsel der Klägerin aus dem Tarif BO... (Bisex) in den Tarif BO... (Unisex), dies führte zu einer Reduzierung der Beitragshöhe von 386,68 EUR auf 363,57 EUR. Zum 01.01.2017 und zum 01.01.2021 kam es im Tarif 4... Beitragsbefreiungskomponente zu nicht angegriffenen Beitragsanpassungen. In den Tarifen PrivatPflege kam es zum 01.08.2019 jeweils zu Leistungsanpassungen.
Die Anträge der Klagepartei auf Feststellung der Unwirksamkeit der Beitragsanpassung und Rückzahlung von zu viel geleisteten Beiträgen lauteten ursprünglich wie folgt:
1) Es wird festgestellt, dass folgende Neufestsetzungen der Prämien in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/ Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer ... unwirksam sind:
a) die Erhöhung des Beitrags im Tarif BO... zum 01.01.2015 in Höhe von 23,66 EU...