Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragsanpassung in der privaten Krankenversicherung bei abgesenktem Schwellenwert
Leitsatz (amtlich)
Eine Regelung in allgemeinen Versicherungsbedingungen, die bei einer unterhalb von 10 % liegenden Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen (abgesenkter Schwellenwert) lediglich eine Möglichkeit, nicht aber eine Verpflichtung des Versicherers zur Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung der Prämien vorsieht, ist wirksam.
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 24.08.2021, Az. 8 O 293/20, wird zurückgewiesen.
Soweit der Kläger in der Berufungsinstanz die Klage erweitert hat, wird diese abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Karlsruhe ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung des Klägers in den Jahren 2013 und 2020.
Der Kläger ist bei der Beklagten unter der Versicherungsnummer ... seit dem Jahr 1995 privat kranken- und pflegeversichert, unter anderem in den Tarifen 741 (zahnärztliche Behandlung), 451 (Krankenhaustagegeld) sowie 720V und VS1200V (jeweils Heilbehandlung). Bei Vertragsabschluss wurde die Geltung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung Teil I - Musterbedingungen (MB/KK 2009) vereinbart. Deren § 8b lautet:
§ 8b Beitragsanpassung
Teil I (1) Im Rahmen der vertraglichen Leistungszusage können sich die Leistungen des Versicherers z. B. wegen steigender Heilbehandlungskosten, einer häufigeren Inanspruchnahme medizinischer Leistungen oder aufgrund steigender Lebenserwartung ändern. Dementsprechend vergleicht der Versicherer zumindest jährlich für jeden Tarif die erforderlichen mit den in den technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergibt die Gegenüberstellung zu den Versicherungsleistungen für eine Beobachtungseinheit eines Tarifes eine Abweichung von mehr als 10%, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. Bei einer Abweichung von mehr als 5% können alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst werden. Ergibt die Gegenüberstellung zu den Sterbewahrscheinlichkeiten für eine Beobachtungseinheit eines Tarifes eine Abweichung von mehr als 5%, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. (...)
(2) Von einer Beitragsanpassung kann abgesehen werden, wenn nach übereinstimmender Beurteilung durch den Versicherer und den Treuhänder die Veränderung der Versicherungsleistungen als vorübergehend anzusehen ist. (...)
In der Vergangenheit kam es unter anderem - soweit für die Berufung noch von Bedeutung - zu folgenden Beitragsanpassungen:
im Tarif 720V zum 01.01.2012 in Höhe von 46,58 EUR,
im Tarif 720V zum 01.01.2013 in Höhe von 17,28 EUR,
im Tarif 741 zum 01.01.2013 in Höhe von 9,10 EUR,
im Tarif 451 zum 01.01.2020 in Höhe von 0,40 EUR,
im Tarif VS1200V zum 01.01.2020 in Höhe von 70,53 EUR.
Für alle Beitragsanpassungen teilte die Beklagte dem Kläger mit Anschreiben aus dem November des jeweiligen Vorjahres die Erhöhungen zum 1. Januar des folgenden Jahres mit. Auslöser für die Beitragsanpassungen waren jeweils geänderte Leistungsausgaben, nicht aber geänderte Sterbewahrscheinlichkeiten.
In dem Anschreiben vom 17.11.2012 heißt es unter anderem:
Warum erhöhen wir Ihren Beitrag?
Wir wollen Ihnen auch in Zukunft eine hochwertige Versorgung mit erstklassigen Leistungen bieten. Der medizinische Fortschritt führt jedoch mitunter zu einem Anstieg der Gesundheitskosten. Daher überprüfen wir entsprechend den gesetzlichen Vorschriften einmal jährlich für jeden Tarif das Verhältnis von Beitragseinnahmen und Ausgaben. Ergibt sich eine signifikante Abweichung, werden die Beiträge entsprechend angepasst. Nähere Informationen hierzu finden Sie unter "Wichtige Hinweise"
Unter "Wichtige Hinweise" heißt es sodann:
Rechtsgrundlage für die Anpassung von Beiträgen, Risikozuschlägen und Selbstbeteiligungen
Die Rechtsgrundlage für die Anpassung der Beiträge ergibt sich aus den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), wenn die Anpassung darauf beruht, dass eine Abweichung der erforderlichen von den in den technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen von mehr als 5% und nicht mehr als 10% festgestellt wurde. ...