Entscheidungsstichwort (Thema)
Aktiengesellschaft: Umfang der organschaftlichen Vertretungsmacht eines besonderen Vertreters
Leitsatz (amtlich)
Die einem besonderen Vertreter in § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG zugewiesene Aufgabe, Ersatzansprüche geltend zu machen, umfasst nicht die Befugnis zur Prozessvertretung der Gesellschaft in einem Honorarklageverfahren, das zwischen der Gesellschaft und den in ihrem Namen von dem besonderen Vertreter zum Zweck der Geltendmachung von Ersatzansprüchen hinzugezogenen Rechtsanwälten geführt wird (Abgrenzung zu BGHZ 218, 122).
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 09.08.2019, Az. 4 O 366/18, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 308.969,75 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die klagende Partnerschaft von Rechtsanwälten verlangt von der beklagten Aktiengesellschaft die Zahlung von Anwaltshonorar. Die Parteien streiten unter anderem um die Befugnis eines nach § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG für die Geltendmachung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft bestellten besonderen Vertreters, die Aktiengesellschaft auch in dem Honorarklageverfahren zu vertreten.
Mit Beschlüssen der Hauptversammlung der Beklagten vom 30.06.2014 und 30.04.2015 wurde Prof. Dr. S. als besonderer Vertreter nach § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG bestellt, um Ersatzansprüche der Gesellschaft unter anderem gegen Aktionäre sowie Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder geltend zu machen. In dem auf Ersatzansprüche gegen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder beschränkten Bestellungsbeschluss vom 30.06.2014 ist u.a. Folgendes bestimmt:
"Der besondere Vertreter darf sich ihm geeignet erscheinender Hilfspersonen, insbesondere solcher, die zur beruflichen Verschwiegenheit verpflichtet sind, bedienen und sich insbesondere in rechtlicher und technischer Hinsicht (z.B. durch einen Fachmann auf dem Gebiet der Gelatine, Gelatineproduktion bzw.-verarbeitung) beraten und unterstützen lassen.
Dem besonderen Vertreter ist unmittelbarer unbehinderter Zugang zu Personal und - insbesondere seinen Auftrag betreffenden - Unterlagen der Gesellschaft zu gewähren."
Mit dem Bestellungsbeschluss vom 30.04.2015 wurde der Auftrag zur Geltendmachung unter Wiedergabe des Beschlusswortlauts vom 30.06.2014 auf weitere Anspruchsgegner erstreckt. Wegen der weiteren Einzelheiten der Beschlussfassung wird auf die Versammlungsniederschriften vom 30.06.2014 und 30.04.2015 (Anl. K1 und K2) verwiesen.
Aus Anlass des Bestellungsbeschlusses vom 30.06.2014 schlossen der besondere Vertreter und die Beklagte unter dem 01./21.07.2014 eine Mandatsvereinbarung (Anl. GL16), in der sie u.a. die Befugnis, Hilfspersonen hinzuzuziehen, gleichlautend regelten (§ 1 Abs. 2 Mandatsvereinbarung). In einer ebenfalls unter dem 01./21.07.2014 geschlossenen Vergütungsvereinbarung (Anl. GL15) vereinbarten die Beklagte und der besondere Vertreter unter anderem, dass Tätigkeiten von hinzugezogenen Hilfspersonen nach dem tatsächlichen Zeitaufwand zu deren üblichen Stundensätzen pro Arbeitsstunde als Auslagen in Rechnung gestellt werden (§ 2 Abs. 2 Vergütungsvereinbarung).Der besondere Vertreter sollte zudem berechtigt sein, für seine und die von Hilfspersonen zu erbringenden Beratungsleistungen einen angemessenen Vorschuss in Rechnung zu stellen (§ 2 Abs. 6 Satz 1 Vergütungsvereinbarung).
Auf der Grundlage der nicht angefochtenen Geltendmachungs- und Bestellungsbeschlüsse machte der besondere Vertreter in zwei erstinstanzlichen Verfahren Ersatzansprüche geltend. Das Landgericht Heidelberg wies die Klagen mit Urteilen vom 26.08.2016 und vom 28.06.2017 ab. Die Urteile sind Gegenstand der von dem besonderen Vertreter für die Aktiengesellschaft beim Oberlandesgericht Karlsruhe unter Az. 19 U 106/16 und Az. 11 U 58/17 geführten Berufungsverfahren.
Nach Erlass des ersten klageabweisenden Urteils vom 26.08.2016 schloss der besondere Vertreter unter dem 20.09.2016 im Namen der Beklagten mit der Klägerin eine "Mandats- und Vergütungsvereinbarung" (Anl. K12), deren Gegenstand die zivilrechtliche Beratung und Prozessvertretung der Beklagten im Zusammenhang mit dem am 26.08.2016 entschiedenen Rechtsstreit sein sollte. Die Bedingungen dieser Vereinbarung sollten auch für andere Mandate gelten, soweit sich die Parteien hierauf einigen. Vereinbart wurde ein Stundensatz in Höhe von 350 EUR netto und eine Abrechnung in Zeiteinheiten von 6 Minuten. Der Klägerin wurde gestattet, in angemessenen Zeitabständen Zwischenrechnungen...