Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Wirksamkeit und Treu-und-Glauben-Korrektur in besonderen Einzelfällen der Zusatzversorgung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) bei sog. rentennahen Pflichtversicherten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Regelung des § 79 Abs. 2 ff. VBLS zur Berechnung der Betriebsrentenanwartschaften sog. rentennaher Pflichtversicherter ist mit höherrangigem Recht vereinbar. Eine darauf beruhende Startgutschrift legt - abgesehen von besonderen Härtefällen - den Anwartschaftswert verbindlich fest (ständige Rechtsprechung des erkennenden OLG Karlsruhe seit Urt. v. 7.12.2006 - 12 U 91/05).

2. Übersteigt der Wert der dynamisierten Anwartschaft eines zum 31.12.2001 rentennahen Versicherten die unter Zugrundelegung der Startgutschrift gem. § 79 Abs. 2 ff. VBLS gewährte Betriebsrente erheblich (hier: um nahezu 80 %), weil nach der früheren Satzung (VBLS a.F.) bei Eintritt des Versicherungsfalles die Voraussetzungen einer Mindestgesamtversorgung gem. § 41 Abs. 4 VBLS a.F. erfüllt gewesen wären, so liegt eine für den Versicherten unzumutbare Härte vor.

3. In einem solchen Fall ist die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) nach Treu und Glauben verpflichtet, dem Berechtigten bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung eine Betriebsrente mindestens in Höhe des Wertes der dynamisierten Anwartschaft zu leisten.

4. Die Rechtsprechung des BGH zur Umstellung des Zusatzversorgungssystems der VBL und den Startgutschriftenregelungen rentenferner Pflichtversicherter (Urt. v. 14.11.2007 - IV ZR 74/06) nötigt nicht dazu, von dieser Härtefallrechtsprechung abzuweichen.

 

Normenkette

GG Art. 3; BGB § 242; BetrAVG § 18 Abs. 2; VBLS § 79 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Karlsruhe (Urteil vom 10.02.2006; Aktenzeichen 6 O 67/05)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Karlsruhe vom 10.2.2006 - 6 O 67/05 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung die der Klägerin ab 1.10.2005 zu leistende Betriebsrente nach folgender Formel zu berechnen:

Umlagemonate bis zum Stichtag 31.12.2001 Mögliche Umlagemonate bis zum Erreichen des 65. Lebensjahres × Fiktive volle Versorgungsrente bei Eintritt des Versicherungsfalles gemäß der VBLS a.F. in der Fassung der 41. Satzungsänderung.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 3/5 und die Beklagte 2/5.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Zwangsvollstreckung kann durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

5. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin beanstandet die ihr von der Beklagten auf der Grundlage ihrer neu gefassten Satzung mitgeteilte Startgutschrift und verlangt eine höhere Betriebsrente unter Berücksichtigung der Mindestgesamtversorgung gem. § 41 Abs. 4 VBLS a.F.

Mit Ablauf des 31.12.2001 hat die beklagte Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) ihr Zusatzversorgungssystem umgestellt von einer an der Beamtenversorgung orientierten Gesamtversorgung auf ein auf die Verzinsung von Beiträgen ausgerichtetes Punktemodell. Danach errechnet sich die bei Eintritt des Versicherungsfalls zu leistende Betriebsrente aus der Summe der erworbenen Versorgungspunkte. Zu dem genannten Stichtag wurden die Werte der bereits erlangten Rentenanwartschaften festgestellt und als sog. Startgutschriften auf die neuen Versorgungskonten übertragen.

Im Altersvorsorgeplan 2001 hatten sich die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes am 13.11.2001 auf den Systemwechsel geeinigt. Die Einzelheiten wurden im Tarifvertrag über die betriebliche Altersversorgung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes (Tarifvertrag Altersversorgung - ATV) vom 1.3.2002 vereinbart. Der ATV liegt der neuen Satzung der Beklagten (VBLS) zugrunde, die von ihrem Verwaltungsrat am 9.9.2002 mit Wirkung ab dem 1.1.2001 beschlossen worden und durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger vom 3.1.2003 nach vorheriger Genehmigung durch den Bundesminister der Finanzen in Kraft getreten ist.

Die Übergangsregelungen der neuen Satzung betreffen neben den bereits Rentenberechtigten (vgl. §§ 75-77 VBLS) vor allem die Inhaber von Rentenanwartschaften (Rentenanwärter). Bei den Rentenanwärtern wird zwischen rentennahen und rentenfernen Jahrgängen unterschieden. Eine Startgutschrift für rentennahe Pflichtversicherte erhält, wer am 01.01. 2002 das 55. Lebensjahr vollendet hatte und im Tarifgebiet West beschäftigt war bzw. dem Umlagesatz des Abrechnungsverbandes West unterfiel oder im Zusatzversorgungssystem Pflichtversicherungszeiten vor dem 01.01. 1997 hat.

Die Regelungen für rentennahe Pflichtversicherte gelten für insgesamt ca. 200.000 Personen. Bei ihnen werden die Anwartschaften zum Stichtag 31.12.2001...

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