Leitsatz (amtlich)
Hat der Beklagte die Klageerwiderungsfrist versäumt und auch den Einspruch gegen ein im Termin verkündetes Versäumnisurteil nicht rechtzeitig begründet, kann für die Entscheidung der Frage, ob die Verspätung kausal für eine Verzögerung ist, die Versäumung der Klageerwiderungsfrist nicht außer Betracht bleiben.
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Urteil vom 22.01.2010; Aktenzeichen 8 O 86/09) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Karlsruhe vom 22.1.2010 - 8 O 86/09 - wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsrechtszugs.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Zwangsvollstreckung kann durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn die Gegenseite nicht vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des aus dem Urteil jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die während des Berufungsverfahrens verstorbene Klägerin hat die Beklagte, eine niedergelassene Augenärztin, wegen verspäteter Diagnose eines bösartigen Aderhautmelanoms auf Zahlung eines Schmerzensgeldes i.H.v. 35.000 EUR und Feststellung der Ersatzpflicht für materielle Schäden in Anspruch genommen. Das LG, auf dessen Urteil gem. § 540 Abs. 1 Nr. 2 ZPO Bezug genommen wird, hat der Klage durch Versäumnisurteil in vollem Umfang stattgegeben und dieses Urteil mit der Begründung aufrechterhalten, nach dem Vortrag der Klägerin seien der Beklagten grobe Behandlungsfehler vorzuwerfen. Sie habe die Ursache der seit März 2003 diagnostizierten Gefäßeinsprossungen sowie der wiederholt geklagten Schmerzen und Sehstörungen nicht rechtzeitig abgeklärt und die Augenhintergrunduntersuchung am 27.6.2004 fehlerhaft durchgeführt. Bei der medizinisch gebotenen Befunderhebung wäre der Tumor spätestens zu diesem Zeitpunkt erkannt worden. Die Sehkraft des rechten Auges hätte dann erhalten und ein Fortschreiten der Krebserkrankung verhindert werden können. Diesen Vortrag habe die Beklagte zwar substantiiert bestritten. Ihr Bestreiten sei aber gem. § 296 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen, weil sie unter Verstoß gegen § 340 Abs. 3 ZPO erst im Einspruchstermin am 10.12.2009 auf die Klage erwidert habe und die andernfalls gebotene Einholung eines Sachverständigengutachtens über die behaupteten Behandlungsfehler den Rechtsstreit verzögern würde. Das beantragte Schmerzensgeld sei der Höhe nach angemessen, und weil die Klägerin die haftungsbegründenden Umstände bis zum Jahr 2006 noch nicht gekannt habe, sei der geltend gemachte Anspruch auch nicht verjährt.
Mit der Berufung will die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage erreichen. Sie macht insbesondere geltend, das LG habe ihren Vortrag zu Unrecht zurückgewiesen. Zum einen habe keine Verzögerung gedroht, weil auch nach dem Vortrag der Klägerin ein Sachverständigengutachten erforderlich gewesen sei. Zum anderen habe die Zurückweisung zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Überbeschleunigung geführt, weil der Rechtsstreit wegen des erforderlichen Gutachtens auch bei Einhaltung der in § 340 Abs. 3 ZPO bestimmten Frist nicht in dem Einspruchstermin am 10.12.2009 habe erledigt werden können. Außerdem seien der geltend gemachte Anspruch verjährt und das zugesprochene Schmerzensgeld überhöht. Der Ehemann der Klägerin, der diese beerbt und das Verfahren nach § 239 Abs. 1 ZPO aufgenommen hat, verteidigt das angefochtene Urteil. Er macht insbesondere geltend, die Säumnis der Beklagten habe die bereits eingetretene Versäumung der Klageerwiderungsfrist und deren Folgen nicht beseitigt. Durch die Zurückweisung sei der Rechtstreit auch nicht früher beendet worden, als dies bei fristgerechter Klageerwiderung zu erwarten gewesen sei. Wegen des Weiteren Sach- und Streitstands im zweiten Rechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf die Sitzungsniederschrift vom 10.11.2010 (II II 181) Bezug genommen. Auf letztere wird auch wegen der Antragstellung verwiesen.
II. Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das LG hat der Klage zu Recht stattgegeben.
1. Das LG hat das Vorbringen der Beklagten zu den von der Klägerin behaupteten Behandlungsfehlern und deren Ursächlichkeit zu Recht nach § 296 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen.
a) Die Beklagte hat die - dreimal antragsgemäß verlängerte - Frist zur Klageerwiderung (§ 276 Abs. 1 Satz 2 ZPO) versäumt und auch den Einspruch gegen das Versäumnisurteil vom 5.11.2009 nicht fristgerecht begründet (§§ 340 Abs. 3, 339 ZPO). Der im Einspruchstermin am 10.12.2009 vorgelegte Schriftsatz war daher im Sinne der - sowohl unmittelbar als auch entsprechend anwendbaren - Vorschrift des § 296 Abs. 1 ZPO verspätet. Entschuldigungsgründe macht die Beklagte auch im zweiten Rechtszug nicht geltend. Entgegen ihrer mit der Berufung vertretenen Auffassung ist das LG auch zu Recht zu der Überzeugung gelangt, dass die Zulassung ihres Vorbringens die Erledigung des Rechtsstreits verzöge...