Leitsatz (amtlich)
1. Bei gegenseitiger Erbeinsetzung von Ehegatten kann der Träger der Sozialhilfe nach dem Tod des Erstversterbenden nach erfolgter Überleitung Pflichtteilsansprüche eines behinderten Kindes unabhängig von dessen eigener Entscheidung geltend machen.
2. Die Auslegung einer letztwilligen Verfügung, die den besonderen Interessen des Kindes durch Anordnungen zur Verhinderung des Zugriffs des Trägers der Sozialhilfe Rechnung trägt, kann ergeben, dass für diesen Fall die im Testament angeordnete Sanktion des Ausschlusses des Erbrechts auf Ableben des Letztversterbenden für die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs nicht gelten soll.
Normenkette
BGB §§ 2303, 2306, 2317; ZPO § 852 Abs. 1; BSHG § 90
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG Konstanz vom 26.2.2003 abgeändert. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, dem Kläger Auskunft zu erteilen über
a) die ausgleichspflichtigen Zuwendungen sowie die Schenkungen des S. innerhalb der letzten 10 Jahre
b) den Güterstand der Eheleute S.
Im Übrigen wird die Auskunftsklage abgewiesen.
2. Die Klage auf Ermittlung des Wertes der Nachlassgegenstände und der zugewendeten bzw. geschenkten Gegenstände wird abgewiesen.
3. Zur Entscheidung über den Antrag, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, die nach Erteilung der Auskunft und Wertermittlung zu beziffernden Pflichtteils – und Pflichtteilsergänzungsbeträge nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, wird der Rechtsstreit an das LG Konstanz zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden hat.
4. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
6. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Der klagende Sozialhilfeträger nimmt die Beklagten als Erben des am 22.12.1992 verstorbenen S. im Wege der Stufenklage nach Überleitung der erbrechtlichen Ansprüche der V. gem. § 90 BSHG auf Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche in Anspruch.
Die Eheleute S., deren Kinder die sieben Beklagten und V. sind, hatten am 15.5.1993 ein gemeinschaftliches Testament errichtet, in dem sie sich gegenseitig als alleinige Erben einsetzten. Als Erben nach dem Letztversterbenden wurden die acht Kinder bestimmt, wobei in Bezug auf die Tochter V. wegen deren geistiger Behinderung Testamentsvollstreckung angeordnet wurde. Das Erbe der V. sollte nach den Bestimmungen des Testaments dazu dienen, es dieser zu ermöglichen, ihr Leben wie bisher weiterzuführen. Es wurde in das Ermessen des Testamentsvollstreckers gestellt, aus den Erträgnissen und wenn er dies für erforderlich hält auch aus der Substanz, Sachleistungen und Vergünstigungen für das Kind zu erbringen, die der für zweckmäßig und sinnvoll hält und die geeignet sind, dem Kind Erleichterung und Hilfen zu verschaffen. Das Vermögen sollte für das persönliche Wohl und für die persönlichen Bedürfnisse entspr. dem Grad der Behinderung des Kindes verwendet werden. Es folgte eine Aufstellung der Zwecke, für die Mittel zur Verfügung gestellt werden sollten, einschl. der Kosten der Beerdigung des Kindes. Weiter bestimmten die Eltern: „Die Verpflichtung zur Zahlung der o.g. Beträge entfällt, wenn diese Leistung in irgendeiner Form auf die unserem Kind zu gewährenden Sozialhilfeleistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz angerechnet werden oder wenn der Sozialhilfeträger die Übernahme oder Beteiligung an den Kosten zu der (er) gesetzlich verpflichtet wäre, wegen der vorstehend getroffenen Regelung verweigert”. Zur Testamentsvollstreckerin sollte die Beklagte A.S. ernannt werden.
Weiter enthält das Testament die Bestimmung:
„Sollte eines unserer Kinder beim Tod des Erstversterbenden von uns von dem überlebenden Ehegatten den Pflichtteil verlangen, ist dieses Kind einschl. seiner Abkömmlinge beim Tod des Letztversterbenden von uns ebenfalls auf den Pflichtteil gesetzt”.
Der Kläger hat, gestützt auf die Überleitung gem. Bescheid vom 29.6.2001, die Pflichtteilsansprüche von V. geltend gemacht. Die durch das AG Singen am 20.3.2001 bestellte Ergänzungsbetreuerin hat mit Schreiben an das AG vom 13.11.2001 mitgeteilt, dass die Erbschaft auf Ableben der Mutter nicht ausgeschlagen und keine Pflichtteilsansprüche geltend gemacht werden.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, dem Kläger Auskunft zu erteilen
a) durch Vorlage eines durch einen Notar errichteten Nachlassverzeichnisses über den Bestand des Nachlasses des S. zum Zeitpunkt des Erbfalls,
b) über die ausgleichspflichtigen Zuwendungen sowie die Schenkungen des S. innerhalb der letzten zehn Lebensjahre,
c) über den Güterstand der Eheleute S.
2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, den Wert der Nachlassgegenstände und der zugewendeten bzw. geschenkten Gegenstände gem. Ziff. 1.b) durch Gutachten...