Entscheidungsstichwort (Thema)

Härtefallprüfung einer VBL-Startgutschrift für rentenferne Versicherte

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Härtefallprüfung einer VBL-Startgutschrift für rentenferne Versicherte gemäß § 242 BGB - Steuerklasse III/0 für einen zum Stichtag nur für kurze Zeit verwitweten Versicherten, dessen Erwerbsbiographie zuvor und danach ganz überwiegend vom Familienstand eines Verheirateten geprägt ist.

2. Frühere klageabweisende Urteile zur Frage der Anwendung der Steuerklasse III/0, die zwar zwischen den Parteien, aber auf der Grundlage einer früheren Startgutschrift auf Grund früherer - in hier maßgeblichen Punkten unwirksamer - Fassungen der maßgeblichen Satzungsbestimmungen ergangen sind, betreffen gegenüber der Klage auf der Grundlage einer neuen Startgutschrift und inzwischen geänderter Satzungsbestimmungen einen anderen Streitgegenstand. Diese früheren Entscheidungen stehen einer neuen Klage weder unter dem Gesichtspunkt entgegenstehender Rechtskraft entgegen, noch führen sie zu einer Bindungswirkung auf Grund materieller Rechtskraft.

3. Dem Kläger war auf Grund eines Versehens eine mit dem erlassenen Urteil des Landgerichts in wesentlichen Punkten nicht übereinstimmende "Ausfertigung" zugestellt worden, was der Kläger nicht erkennen konnte. In diesem Fall genügt die Berufungsbegründung dem § 520 Abs. 3 Ziffer 2 ZPO, wenn sie zwar nicht alle tragenden Gründe des tatsächlichen Urteils, wohl aber alle aus der "Ausfertigung" ersichtlichen tragenden Urteilsgründe vollständig angreift.

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 19.09.2014, Az. 6 O 418/13, im Kostenpunkt aufgehoben und wie folgt abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab dem 01.03.2012 eine Rente zu gewähren, bei der das fiktive Nettoarbeitsentgelt der Startgutschrift unter Zugrundelegung der Steuerklasse III/0 ermittelt wird.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des gegen sie vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn der Kläger nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger fordert von der Beklagten die Gewährung einer höheren Betriebsrente.

Der Kläger wurde am ...1947 geboren. Er war vom ...1973 bis zum ...2012 ununterbrochen im öffentlichen Dienst beschäftigt und bei der Beklagten pflichtversichert. Bereits bei Eintritt in den öffentlichen Dienst war der Kläger verheiratet. Seine erste Ehefrau verstarb am ...2000 infolge eines Krebsleidens. Seit dem ...2002 ist er wieder verheiratet.

Mit Neufassung ihrer Satzung vom 22.11.2002 hat die Beklagte ihr Zusatzversorgungssystem rückwirkend zum 31.12.2001 umgestellt. Den Systemwechsel hatten die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes im Tarifvertrag Altersversorgung vom 01.03.2002 (ATV) vereinbart. Damit wurde das frühere - auf dem Versorgungstarifvertrag vom 04.11.1966 (Versorgungs-TV) beruhende - endgehaltsbezogene Gesamtversorgungssystem aufgegeben und durch ein auf einem Punktemodell beruhendes Betriebsrentensystem ersetzt.

Die neue Satzung der Beklagten (VBLS) enthält Übergangsregelungen zum Erhalt von bis zur Systemumstellung erworbenen Rentenanwartschaften. Diese werden wertmäßig festgestellt und als sogenannte Startgutschriften auf die neuen Versorgungskonten der Versicherten übertragen. Dabei werden Versicherte, deren Versorgungsfall noch nicht eingetreten ist, in rentennahe und rentenferne Versicherte unterschieden. Rentennah ist grundsätzlich, wer am 01.01.2002 das 55. Lebensjahr vollendet hatte und im Tarifgebiet West beschäftigt war bzw. dem Umlagesatz des Abrechnungsverbandes West unterfiel oder Pflichtversicherungszeiten in der Zusatzversorgung vor dem 01.01.1997 vorweisen kann. Die Anwartschaften der ca. 200.000 rentennahen Versicherten werden weitgehend nach dem alten Satzungsrecht ermittelt und übertragen. Der Kläger ist den rentenfernen Versicherten zuzuordnen.

Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 11.12.2002 mit, dass seine Startgutschrift zum 31.12.2001 93,30 Versorgungspunkte umfasse, was einer monatlichen Anwartschaft von 373,20 EUR entspricht. Diese Startgutschrift wurde auf der Basis eines fiktiven Entgelts mit Steuerklasse I/0 (alleinstehend) berechnet, da der Kläger an dem Stichtag verwitwet war. Der Kläger verlangte in einem ersten Klageverfahren (Landgericht Karlsruhe 6 O 114/05) unter anderem, nach dem bisherigen Gesamtversorgungssystem und unter Anwendung der Steuerklasse III/0 behandelt zu werden. Mit Berufungsurteil vom 24. November 2005 (12 U 260/04) stellte der Senat fest, dass die von der Beklagten erteilte Startgutschrift den Wert der von dem Kläger bis zum 31. Dezember 2001 erlangten Anwartschaft auf eine bei Eintritt des Versicherungsfalles zu leistende Betriebsrente nicht verbindlich festlegt. Im Üb...

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