Leitsatz (amtlich)

Zur Beweislastverteilung beim Vorwurf einer Infektion wegen Hygienemängeln.

Ein haftungsbegründender Ursachenzusammenhang kann auch dann äußerst unwahrscheinlich sein und damit einer Beweislastumkehr wegen eines Befunderhebungsfehlers entgegenstehen, wenn die erforderliche Reaktion auf den bei Vornahme der Befunderhebung anzunehmenden Befund von dritter Seite zeitgerecht vorgenommen wurde.

Ändert das Gericht seinen Beweisbeschluss nach § 360 Satz 2 ZPO nachträglich ab und bestellt den tatsächlichen Ersteller des Gutachtens anstelle des ursprünglich beauftragten Gutachters zum Sachverständigen, ohne die Parteien hinreichend anzuhören, führt dies nicht zur Unverwertbarkeit des Gutachtens, wenn sich die Fehlerhaftigkeit der Beschlussfassung nicht auf das Beweisergebnis ausgewirkt haben kann.

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Urteil vom 24.03.2016; Aktenzeichen 10 O 199/11)

 

Tenor

1. Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des LG Koblenz vom 24.3.2016 einstimmig gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

2. Die Klägerin kann zu den Hinweisen des Senats bis zum 30.10.2016 Stellung nehmen. Die Rücknahme der Berufung wird empfohlen.

 

Gründe

I. Die Klägerin verlangt materiellen und immateriellen Schadensersatz sowie die Feststellung der Einstandspflicht für künftige weitere materielle und immaterielle Schäden im Zusammenhang mit Kortisoninjektionen im Schulterbereich.

Die 1967 geborene Klägerin erhielt am 13.1.2008 durch die Allgemeinärztin K. eine Spritze in Schulter und Hüfte, wobei streitig ist, ob die Injektion ins Schultergelenk oder den Weichteilbereich erfolgte. Am Folgetag stellte sie sich wegen anhaltender erheblicher Schmerzen in der rechten Schulter bei ihrer Hausärztin vor, die sie zur weiteren Versorgung an die Beklagte zu 2) verwies. Dort erfolgte die Behandlung durch den Beklagten zu 1). Dieser fertigte Röntgenbilder und gelangte zur Diagnose eines akuten Impingements der rechten Schulter und schlug als Behandlung eine subacromiale Infiltrationsserie mit Lipotalon - einem Kortisonpräparat - vor. Noch an diesem Behandlungstag wurde die erste Injektion vorgenommen. Zur nächsten Infiltration kam es am 21.1.2008. Am 25.1.2008 stellte sich die Klägerin erneut beim Beklagten zu 1) ambulant vor und klagte über Schmerzen und Bewegungseinschränkungen. Dieser führte daraufhin die dritte Infiltration durch, wobei die Klägerin starke Schmerzen äußerte. Noch am 25.1.2008 suchte die Klägerin ihre Hausärztin auf, die ein Antibiotikum verordnete.

Die Klägerin hat zur Begründung ihres auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes in einer Mindesthöhe von 10.000 EUR, Ersatz eines Verdienstausfallschadens in Höhe von 2.717,55 EUR sowie Feststellung der Einstandspflicht für künftige Schäden angeführt, die Infiltrationsserie sei nicht indiziert gewesen. Zudem sei durch diese eine Infektion mit einem multiresistenten Staphylococcus aureus (MRSA) verursacht worden. Die MRSA-Infektion sei auf Hygienemängel zurückzuführen und bereits vor der dritten Injektion gegeben gewesen, weshalb diese nicht habe durchgeführt werden dürfen. Durch die dritte Injektion am 25.1.2008 seien die Erfolgsaussichten der Behandlung der Infektion beeinträchtigt und der Gesundheitszustand der Klägerin erheblich verschlechtert worden. In der Folge seien operative Eingriffe am 8.2.2008 und 18.2.2008 zur Behandlung der Infektion und deren Folgen erforderlich gewesen. Parallel hierzu hat die Klägerin erstinstanzlich eine unzureichende Aufklärung über die möglichen Nebenwirkungen der Injektionsbehandlung gerügt.

Hinsichtlich des weiteren erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge der Parteien wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung vom 24.3.2016 (Bl. 365 ff. GA) verwiesen.

Das durch drei Sachverständige beratene LG hat die Klage abgewiesen. Die Infiltrationsserie sei aufgrund des Beschwerdebildes der Klägerin indiziert gewesen. Die Verursachung einer Infektion durch die Injektionen sei indes nicht feststellbar. Allein der Umstand der Infektion belege keine Vernachlässigung der Hygienemaßregeln. Die durchgeführte Anhörung der Parteien trage auch keine Überzeugungsbildung hinsichtlich einer konkreten Verletzung der Hygienestandards. Schließlich könne nicht davon ausgegangen werden, dass die dritte Injektion am 25.1.2008 bei gegebener Infektion zu einer Verschlechterung der gesundheitlichen Lage geführt habe. Zwar habe der Sachverständige Prof. Dr. T. einen Befunderhebungsfehler angenommen, da die dritte Injektion ohne die Erhebung von Entzündungswerten erfolgt sei. Allerdings stehe nach den Ausführungen der Sachverständigen Dr. E. und Prof. Dr. B. fest, dass die nachfolgenden operativen Eingriffe auch ohne Durchführung der dritten Injektion nicht hätte vermieden werden können. Hinsichtlich der Aufklärungsrüge sei vom Vorliegen einer hypothetischen Einwilligung auszugehen, da die Klägerin einen echten Entscheidungs...

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