Leitsatz (amtlich)
Es bedarf keines Rückgriffs auf die Grundsätze der gesteigerten Erwerbspflicht, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil bereits im Rahmen seiner einfachen Erwerbspflicht leistungsfähig ist.
Umgangskosten in Höhe von 100 EUR/mtl. sind in der Regel unterhaltsrechtlich nicht einkommensmindern in Abzug zu bringen (vgl. BGH FamRZ 2014, 917).
Verfahrenskostenhilferaten können unterhaltsrechtlich nicht einkommensmindernd in Abzug gebracht werden.
Schwangerschaft und Mutterschutz führen grundsätzlich bei einem abhängig Beschäftigten zu keinem Einkommensverlust. Auch das Einkommen aus einer Nebentätigkeit im Minijobbereich entfällt grundsätzlich weder durch eine Schwangerschaft noch infolge Mutterschutzes.
Bei der Prüfung der Leistungsfähigkeit eines Unterhaltsverpflichteten ist dessen eigener Unterhaltsanspruch gegen eine Dritten bei der Frage nach der Selbstbehaltswahrung zu berücksichtigen.
Zu den Voraussetzungen einer Ersatzhaftung des das Unterhalt begehrende Kind betreuenden Elternteils bei Sicherung des angemessenen Selbstbehalts des barunterhaltspflichtigen Elternteils.
Normenkette
BGB § 1603 Abs. 1-2, § 1606 Abs. 3, §§ 1610, 1615l; MuSchG § 4 Abs. 1 S. 1, §§ 16, 18-20; SGB V § 24i
Verfahrensgang
AG Linz (Aktenzeichen 4 F 156/20) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Linz am Rhein vom 22.06.2021 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass dieser in Ziff. 1 seines Tenors dahingehend abgeändert wird, dass der zuerkannte monatliche Kindesunterhalt lediglich für die Zeit bis einschließlich 14.06.2022 zu zahlen ist.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin. Für das Rechtsbeschwerdeverfahren Az. XII ZB 278/22 werden Gerichtskosten nicht erhoben und außergerichtliche Kosten nicht erstattet.
Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren auf 15.627 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die am 15.06.2004 geborene Antragstellerin macht als Tochter der Antragsgegnerin gegen diese Kindesunterhalt geltend. Sie wohnt bei ihrem Vater. Aus dessen vormaliger, im Jahr 2017 geschiedenen Ehe mit der Antragsgegnerin ist ein weiteres, am ...2007 geborenes Kind, der Sohn L., hervorgegangen. Er wohnt bei der Antragsgegnerin.
Das Familiengericht, auf dessen Entscheidung wegen der Einzelheiten verwiesen wird, hat die Antragsgegnerin ab 01.07.2018 zur Zahlung des Mindestkindesunterhalts verpflichtet. Soweit diese über hierfür nicht ausreichende Einkünfte verfüge, sei ihr ein fiktives Nettoeinkommen zuzurechnen. Ausreichende Bemühungen um eine einträgliche Erwerbs- bzw. Nebentätigkeit habe die Antragsgegnerin nicht entfaltet. Verfahrenskostenhilferaten für das Scheidungsverfahren seien, soweit sie überhaupt noch anfielen, allenfalls mit 50 EUR/mtl. zu berücksichtigen, während eine Ersatzhaftung des Kindesvaters ausscheide.
Gegen diese, ihr am 25.06.2021 zugestellte Entscheidung wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer im Rechtsbeschwerdeverfahren Az. XII ZB 278/22 vom Bundesgerichtshof für zulässig befundenen Beschwerde. Sie verfolgt eine vollständige Antragsabweisung und rügt eine fehlerhafte Anwendung des § 1603 Abs. 2 BGB. Denn mit Blick auf die Einkommensverhältnisse des Kindesvaters scheide eine Zurechnung fiktiver Einkünfte bei ihr aus. Überdies treffe sie aber angesichts des erhöhten Betreuungsbedarfs des Bruders der Antragstellerin auch keine über die ausgeübte Beschäftigung mit 30 Wochenstunden hinausgehende Erwerbsobliegenheit. L. sei nach wie vor durch die Scheidung beeinträchtigt und leide an erheblichen Entwicklungsschwierigkeiten. Aus diesem Grund absolviere er eine Lerntherapie, während eine Ganztagsbeschulung mangels Einverständnisses des Vaters der Antragstellerin mit einer entsprechenden Schule nicht stattfinden könne. Eine Nebenbeschäftigung scheide zudem auch mangels Erlaubnis ihres Arbeitgebers und aufgrund der dort von ihr zu leistenden Vertretungen in Urlaubs- und Krankheitszeiten aus. Es sei völlig unrealistisch, dass sie jemand einstelle, obgleich sie nur zusagen könne, dass sie dann komme, wenn ihr erster Arbeitgeber sie nicht brauche sowie zwei, drei Stunden am Abend und am Wochenende. Hinzu komme eine erneute Schwangerschaft der Antragsgegnerin mit der Geburt eines weiteren Kindes am 04.01.2022 und Elterngeldbezugs in der Folgezeit. Dabei verbiete sich, eine schwangere Frau einer vom Familiengericht zugrunde gelegten beruflichen Belastung auszusetzen. Ebenso verfehlt sei der Ansatz des Familiengerichts, wonach die Antragsgegnerin ihr Einkommen erhöhen und gleichzeitig die - am Einkommen ausgerichteten - Verfahrenskostenhilferaten senken könne. Während ihr bereinigtes Einkommen folglich mit 1.344,88 EUR unter dem angemessenen Selbstbehalt liege, belaufe sich das unterhaltsrechtlich relevante Einkommen des Kindesvaters auf 3.356 EUR, so dass ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen den Einkommen zu verzeichnen sei. Denn der Kindesvater setze zu hohe Umgangskosten und einen zu niedrigen Wohnwert sowie einen nicht zu berücksichtig...