Entscheidungsstichwort (Thema)

Arzthaftung bei Aufklärungsversäumnis und hypothetischer Einwilligung des Patienten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Über die Gefahr operationsbedingt dauerhaft verbleibender Atembeschwerden muss der Arzt den Patienten aufklären. Die Erklärung des Arztes, auf das Risiko weise er normalerweise hin, ist unzureichend, wenn er an das konkrete Aufklärungsgespräch keine Erinnerung hat und sonstige Anhaltspunkte für eine vollständige Aufklärung fehlen.

2. Eine hypothetische Einwilligung des Patienten darf nur ausnahmsweise angenommen werden. Sie kommt nicht in Betracht, wenn er einen Entscheidungskonflikt nach vollständiger Aufklärung plausibel macht. Dazu bedarf es einer wertenden Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalls. Maßgeblich sind neben dem Leidensdruck und der Risikobereitschaft des Patienten die Dringlichkeit des Eingriffs und die Erwartungen eines umfassend aufgeklärten Patienten vor dem ärztlichen Eingriff.

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Urteil vom 18.07.2003; Aktenzeichen 10 O 618/01)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Koblenz vom 18.7.2003 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Nach vorangegangenen Untersuchungen bei ihrem Hausarzt, einem Radiologen und einem Hals-Nasen-Ohrenarzt wurde die Klägerin am 20.7.1998 in das Krankenhaus der Beklagten zu 1) stationär aufgenommen und von dem Beklagten zu 3) über den geplanten operativen Eingriff - Entfernung von kalten Knoten im Bereich des rechten Schilddrüsenlappens - aufgeklärt. Die Operation wurde am 21.7.1998 von dem Beklagten zu 2) durchgeführt, wobei der gesamte rechte Schilddrüsenlappen entfernt wurde.

Die Klägerin hat in erster Instanz vorgetragen, der nervus recurrens sei wahrscheinlich durchtrennt, jedenfalls dauerhaft geschädigt worden. Über die Möglichkeit einer dauerhaften Schädigung sei sie nicht aufgeklärt worden, auch nicht darüber, dass Atembeschwerden verbleiben könnten. Sie sei infolge der fehlerhaften Behandlung dauerhaft heiser, könne nicht mehr singen und leide unter Luftnot.

Das LG hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen; auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 ZPO).

Mit der Berufung macht die Klägerin geltend, die Beklagten hätten einen zwingend notwendigen sonographischen Befund nicht erhoben. Deshalb habe weder eine ordnungsgemäße Planung der Operation noch eine genügende Aufklärung über deren Ausmaß stattgefunden. Über die Möglichkeit einer permanenten Nervenlähmung sowie das Risiko von operationsbedingt verbleibenden Atembeschwerden sei sie nicht aufgeklärt worden.

Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils

1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt werde, mindestens jedoch 12.782,30 Euro (= 25.000 DM) zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,

2. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerich verpflichtet seien, ihr alle künftigen materiellen sowie immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihr aus der fehlerhaften ärztlichen Behandlung während des stationären Krankenhausaufenthaltes bei der Beklagten zu 1) in der Zeit vom 20. Juli bis 25.7.1998 entstehen würden, sofern diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen würden oder übergegangen seien.

Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben durch die Anhörung des Beklagten zu 3) und der Klägerin. Auf die Sitzungsniederschrift vom 11.3.2004 (206-214 GA) wird Bezug genommen.

II. Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Die Beklagten haften weder wegen eines Behandlungsfehlers noch wegen eines Versäumnisses bei der Aufklärung. Davon ist der Senat nach der ergänzenden Beweiserhebung zur Aufklärung überzeugt.

1. Die Berufung nimmt die Feststellungen des Sachverständigen Dr. Th. hin, meint jedoch, ein Behandlungsfehler der Beklagten liege darin, dass sie vor der Operation einen zwingend notwendigen sonographischen Befund nicht erhoben hätten (143 GA). Ohne eine solche Untersuchung hätten sie die Operation "nicht lege artis planen können". Bei Vorliegen eines Befundes hätten sie eine bessere Vorsorge gegen die Schädigung des nervus recurrens treffen können.

Dem sind die Beklagten mit der Begründung entgegengetreten, es hätten der ausreichende sonographische Befund des radiologischen Instituts Dr. M. vom 28.5.1998 und eine Szintigraphie vorgelegen.

Das Vorbringen der Klägerin kann als zutreffend unterstellt werden, ohne dass sich daraus ein Behandlungsfehler ergibt.

Die beste Absicherung gegen die Verletzung des nervus recurrens ist seine Darstellung während der Operation. Dazu hat der Sachverständige ausgeführt, dass der sehr genaue Operationsbericht ein absolut korrektes Vorgehen dokumentiere. Der Operateur habe intraoperativ sorgfältig das Ausmaß der Knotenbild...

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