Entscheidungsstichwort (Thema)
Tilgungsreihenfolge mehrerer Hilfsaufrechnungen, Änderung in zweiter Instanz; materiell-rechtliche Wirkung einer prozessual unbeachtlichen Aufrechnung
Leitsatz (amtlich)
1. Kündigt der Beklagte in zeitlichem Abstand die Hilfsaufrechnung mit mehreren Forderungen an, ohne eine Tilgungsbestimmung zu treffen, ist die gesetzliche Tilgungsreihenfolge zum Zeitpunkt der nachfolgenden mündlichen Verhandlung maßgeblich. Wegen der materiell-rechtlichen Wirkung der Aufrechnung kann der Gläubiger später keine andere Tilgungsreihenfolge mehr bestimmen.
2. Die anderweitige Rechtshängigkeit hindert den Gläubiger nicht, mit seiner Forderung in einem zweiten Rechtsstreit hilfsweise aufzurechnen. Wegen der materiell-rechtlichen Wirkung dieser Hilfsaufrechnung kann das Gericht, bei dem die Forderung rechtshängig ist, gehalten sein, das Verfahren auszusetzen, sofern divergierende Entscheidungen nicht durch ein Teil- und Grundurteil zu vermeiden sind.
3. In der prozessualen Zulassung einer zweitinstanzlichen Aufrechnung liegt keine Bedingung für die materiell-rechtliche Aufrechnungserklärung. Der Gläubiger, dessen Aufrechnung prozessual unbeachtet bleibt, will gleichwohl die materiell-rechtlichen Wirkungen der Aufrechnung herbeiführen (gegen BGH v. 30.3.1994 - VIII ZR 132/92, NJW 1994, 2769).
Normenkette
BGB §§ 139, 158, 366 Abs. 2, §§ 388-389, 396, 745; ZPO §§ 145, 148, 322, 533, 767
Verfahrensgang
LG Mainz (Urteil vom 18.08.2005; Aktenzeichen 4 O 119/04) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des LG Mainz vom 18.8.2005 wird zurückgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen haben zu tragen:
Der Kläger 57,34 %; die Beklagte 42,66 %.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Parteien dürfen die Vollstreckung der Gegenseite durch Sicherheitsleistung von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, sofern vor der Vollstreckung nicht eine entsprechende Sicherheit geleistet wird.
I. Die Revision wird zugelassen, soweit die Aufrechnungsforderungen und ihre materiell-rechtliche und prozessuale Behandlung betroffen sind.
Gründe
Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Sie sind Miteigentümer eines Hauses, das seit der Trennung Anfang 1992 von der beklagten Ehefrau allein bewohnt wurde. Deswegen begehrt der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit eine Nutzungs- entschädigung, zuletzt für die Zeit ab 1.11.1998 bis einschließlich November 2005 (85 Monate X 625 EUR = 53.125 EUR).
Durch rechtskräftiges Urteil vom 28.6.2006 hat der 9. Zivilsenat des OLG Koblenz (9 UF 457/98 OLG Koblenz) der dort klagenden Ehefrau einen Zugewinnausgleich von 237.369,82 EUR nebst 4 % Zinsen seit dem 29.11.1993 (Rechtskraft des Scheidungsurteils) zuerkannt.
Der Kläger meint, jedenfalls ab November 1998 stehe ihm eine Nutzungsentschädigung zu. Durch die im Oktober 1998 erklärte Aufrechnung in dem Verfahren 9 UF 457/98 OLG Koblenz habe er hinreichend deutlich gemacht, dass er zumindest für die Folgezeit Nutzungsentschädigung beanspruche. Ein monatlicher Betrag von 625 EUR sei angesichts der erzielbaren Miete von 1.250 EUR angemessen.
Die Beklagte hat erwidert, mit dem Kläger sei vereinbart worden, dass sie mit den gemeinsamen Kindern das Haus weiterhin unentgeltlich nutzen könne. Der Nutzungswert betrage lediglich 750 EUR, mithin schulde sie allenfalls 375 EUR monatlich.
Zudem habe sie verschiedene Gegenansprüche. Der Kläger schulde ihr Zugewinnausgleich, Unterhalt sowie Erstattung von Aufwendungen für das gemeinsame Hausanwesen. Mit diesen Ansprüchen rechne sie ggü. der Klageforderung hilfsweise auf (SS vom 1.6.2004 - Bl. 16-20 GA). Durch Schriftsatz vom 15.6.2004 hat die Beklagte außerdem die Hilfsaufrechnung mit einer Vergütung von 12.500 DM nebst Zinsen für die 1992 erfolgte Übertragung eines Geschäftsanteils erklärt (Bl. 30-32 GA).
Nach Vernehmung beider Parteien hat das LG die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger und die Beklagte hätten stillschweigend vereinbart, dass die Beklagte bis zur endgültigen Klärung der familienrechtlichen Ansprüche unentgeltlich im Haus wohnen dürfe. Das sei dadurch hinreichend belegt, dass der Kläger in den ersten sechs Jahren nach der Trennung keine Nutzungsentschädigung verlangt habe. Auch in der erstmaligen Aufrechnungserklärung vom Oktober 1998 liege kein derartiges Verlangen, weil das Begehren unberechtigt sei.
Dagegen wendet sich der Kläger mit der Berufung. Zu Unrecht sei das LG davon ausgegangen, die unentgeltliche Nutzung sei vereinbart worden.
Die Beklagte verteidigt die Entscheidung des LG und erwidert unter Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Vortrag, in erster Linie rechne sie nunmehr mit dem Anspruch auf Erstattung von 12.500 DM nebst Zinsen aus der Übertragung des Geschäftsanteils auf. Da der Zugewinnanspruch mittlerweile tituliert sei, rechne sie mit diesem Anspruch erst an letzter Stelle und nur noch wegen eines Betrages von 26.001,22 EUR nebst 4 % Zinsen seit de...