Leitsatz (amtlich)
1. Bei vom Diesel-Abgasskandal betroffenen, nicht zwangsweise stillgelegten Fahrzeugen besteht kein Anlass, den Nutzungsersatz im Hinblick auf den der Sache anhaftenden Mangel herabzusetzen, da eine Berücksichtigung des mit dem Mangel verbundenen Minderwertes nur in Betracht kommt, wenn der Mangel die tatsächliche Gebrauchstauglichkeit erheblich einschränkt.
2. Der Nutzungsersatz ist als zeitanteilige lineare Wertminderung grundsätzlich zunächst im Vergleich zwischen tatsächlichem Gebrauch und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer ausgehend vom Bruttokaufpreis im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO zu ermitteln.
3. Dieses Ergebnis ist allerdings im Einzelfall - vor allem bei Fahrzeugen mit einer besonders niedrigen Jahreslaufleistung - zu korrigieren, da bereits der Möglichkeit als solcher, ein Fahrzeug nutzen zu können, ein materiell bemessbarer Wert zukommt, der gemäß § 287 ZPO mit 5 % des ursprünglichen Kaufpreises pro Jahr veranschlagt werden kann.
4. Schöpft ein Geschädigter diese Nutzungsmöglichkeit nicht aus, indem er das Fahrzeug so wenig fährt, dass sich bei der Berechnung des Nutzungsersatzes auf Kilometerbasis ein Betrag ergibt, der unter dem Betrag liegt, der sich ergeben würde, wenn man pro Jahr, in dem das Fahrzeug dem Geschädigten zur Verfügung stand, einen Betrag von 5 % des ursprünglichen Kaufpreises in Ansatz bringen würde, ist dieser letztgenannte Betrag als Mindestnutzungsersatz abzuziehen.
Verfahrensgang
LG Mainz (Aktenzeichen 9 O 171/18) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der Einzelrichterin der 9. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 12.04.2019 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.843,33 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4 % aus 1.567,20 EUR seit dem 29.10.2013 bis zum 11.01.2019 sowie Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 10.843,33 EUR seit dem 12.01.2019 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkws Skoda Fabia 1,6 l mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer TMBEJ... zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 958,19 EUR freizustellen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 31 % und die Beklagte 69 % zu tragen.
IV. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung des jeweiligen Vollstreckungsgläubigers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des jeweiligen Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten um materiellen Schadensersatz im Zusammenhang mit dem sogenannten Abgasskandal, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs des Klägers.
Der Kläger erwarb am 18.10.2013 von der Firma E. einen Skoda Fabia 1,6 l mit der Fahrzeugidentifikationsnummer TMBEJ... als Neufahrzeug zu einem Kaufpreis von 15.672,00 EUR. Der Kläger zahlte am 28.10.2013 einen Betrag von 13.062,00 EUR an das Autohaus. Bereits zuvor hatte das Autohaus zum Ausgleich der Kaufpreisforderung ein dem Kläger gehörendes Altfahrzeug für einen Betrag von 2.000,00 EUR in Zahlung genommen.
In dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist ein Diesel-Motor der Baureihe EA 189 verbaut. Die im Zusammenhang mit dem Motor verbaute Software erkennt, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befindet und schaltet zwischen zwei Betriebsmodi um. Beim Durchfahren des für die amtliche Bestimmung der Fahrzeugemission maßgeblichen neuen europäischen Fahrzyklus (nachfolgend: NEFZ) schaltet sie in den NOx-optimierten Modus 1 um. In diesem Modus findet eine relativ hohe Abgasrückführung statt mit niedrigem Stickoxidausstoß. Im normalen Fahrbetrieb fährt das Fahrzeug hingegen im Modus 0, bei dem die Abgasrückführung geringer ist, was zu einem höheren Stickoxidausstoß führt. Mit - nicht angefochtenem - Bescheid vom 15.10.2015 vertrat das Kraftfahrtbundesamt (nachfolgend: KBA) die Auffassung, dass es sich bei der eingebauten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 handele und ordnete als nachträgliche Nebenbestimmung für die jeweilige Typengenehmigung gemäß § 25 Abs. 2 EG-FGV an, dass die Beklagte zur Vermeidung eines Widerrufs der Typengenehmigung verpflichtet sei, die unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen sowie geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen, was durch Beibringen geeigneter Nachweise zu belegen sei.
Daraufhin leitete die Beklagte Ende 2015 für die vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeuge der Beklagten und ihrer Tochterunternehmen in Abstimmung mit dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) eine Rückrufaktion ein, bei der die Fahrzeuge mit einem Softwareupdat...