Leitsatz (amtlich)
Bei der Betrachtung, ob die Primärverletzung auf dem Verhalten des Schädigers beruht, ist die Frage einer möglichen Rechtfertigung auszublenden.
Steht der Tatbestand einer unerlaubten Handlung fest, ist es Sache des Schädigers, die behauptete Notwehrlage zum Zeitpunkt der Verletzungshandlungen zu beweisen. Ist nicht aufklärbar, ob ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff erfolgte, so geht dies im Zivilrechtsstreit zu Lasten des mutmaßlich Angegriffenen und sein Notwehreinwand bleibt unberücksichtigt.
Die Wiederholung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme durch das Berufungsgericht ist nicht erforderlich, wenn dieses von der Würdigung des erstinstanzlichen Gerichts nicht abweichen will, dem Beweisergebnis also keine andere Bedeutung zumisst, und lediglich aus rechtlichen Gründen (hier: Beweislastverteilung) zu einem anderen Ergebnis gelangt.
Verfahrensgang
LG Mainz (Aktenzeichen 3 O 50/16) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 24. Januar 2018 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die von der Klägerin mit den Klageanträgen zu 2) und 4) geltend gemachten Zahlungsansprüche sind dem Grunde nach gerechtfertigt.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, sämtliche künftigen materiellen und nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden des Ehemanns der Klägerin O. aus der streitgegenständlichen Tat vom 3. Oktober 2013 gegenüber der Klägerin zu ersetzen, insbesondere solche, die aus einer Verschlechterung des Gesundheitszustands des Ehemanns sich herleiten einschließlich der Folgekosten für weitere Operationen und Reha-Maßnahmen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Es wird festgestellt, dass die zuerkannten Ansprüche auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung des Beklagten beruhen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Höhe der dem Grunde nach gerechtfertigten Zahlungsansprüche und über die Kosten des Rechtsstreits wird der Rechtsstreit an das Landgericht Mainz zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Klägerin verfolgt aus eigenem Recht einen Schmerzensgeldanspruch wegen einer ausgesprochenen Drohung sowie aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes Ansprüche auf materiellen und immateriellen Schadensersatz im Zusammenhang mit einer tätlichen Auseinandersetzung.
Der Ehemann der Klägerin, O., bewohnte mit seiner Familie eine Wohnung in einem Anwesen, in dem auch der Beklagte lebte. Im Herbst 2013 bestand zwischen den Parteien als Mietnachbarn Streit über die Nutzung der Heizung im Treppenhaus. Am Abend des 2. Oktober 2013 kam es zwischen dem Ehemann der Klägerin und dem Beklagten in der Tiefgarage des von ihnen bewohnten Hauses zu einer tätlichen Auseinandersetzung. Der Beklagte erlitt hierbei eine Verletzung über der Augenbraue. Der Ehemann der Klägerin wurde durch den Notarzt in die Universitätsklinik M. verbracht.
Die Klägerin hat erstinstanzlich zur Begründung ihres auf ein eigenes angemessenen Schmerzensgeld in einer Mindesthöhe von 4.000 EUR sowie aus übergegangenem Recht des Ehemanns ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 25.000 EUR, die Zahlung materiellen Schadensersatzes in Höhe von 4.803,30 EUR, die Feststellung der Einstandspflicht für sämtliche künftigen Schäden einschließlich eines weiteren Schmerzensgeldes sowie auf Feststellung des Vorliegens einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung des Beklagten gerichteten Begehrens vorgetragen, am Abend des 2. Oktober 2013 habe der Beklagte in angetrunkenem Zustand die Zufahrt zur Tiefgarage blockiert, um einen Streit zu provozieren. Nachdem ihr Ehemann in die Tiefgarage eingefahren sei, sei der betrunkene Beklagte auf ihn zugekommen. Der Versuch ihres Ehemanns, die Tiefgarage zu verlassen, sei misslungen, da der Beklagte ihn verfolgt und mit der Faust von hinten seitlich gegen den Kiefer geschlagen habe. Anschließend habe der Beklagte mit zahlreichen Faustschlägen gegen den Kopf und den Körper ihres Ehemanns auf diesen eingeprügelt. Dieser sei zu Boden gegangen und habe dort wehrlos gelegen. Daraufhin habe der Beklagte mit Wucht gegen ihn geschlagen und getreten. Anschließend sei der Beklagte zu ihrer Wohnung, habe dort geklingelt und sie aufgefordert, in die Tiefgarage zu gehen, um nach ihrem Mann zu sehen. Dieser habe schwerverletzt und blutend am Boden gelegen, woraufhin sie den Notarzt gerufen und dem Beklagten mitgeteilt habe, sie würde die Polizei alarmieren. Hierauf habe der Beklagte geantwortet, er werde bei einer Information der Polizei und einer daraufhin erfolgenden Gefängnisstrafe ihre gesamte Familie umbringen. Aufgrund dieser Äußerung habe sie unter dauerhafter Angst gelitten. Es sei zu Appetitlosigkeit, Schlaflosigkeit, Abgeschlagenheit und einem allgemeinen Kräfteverlust gekommen. Ihr Ehemann habe aufgrund des tätlichen Übergriffs des Beklagten u.a. einen traumatischen Pneumothorax links, eine Handgel...