Leitsatz (amtlich)

Der für die Auslegung eines VOB/A-Leistungsverzeichnisses maßgebende objektive Empfängerhorizont kann durch eine Umfrage bei potentiellen Bietern ermittelt werden. Von deren Ergebnis abweichende persönliche technische Meinungen und Erfahrungen eines Sachverständigen sind unbeachtlich.

 

Normenkette

VOB/A 2006 § 9; VOB/B § 2

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Urteil vom 22.05.2009; Aktenzeichen 8 O 187/05)

BGH (Aktenzeichen VII ZR 67/11)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 22.12.2011; Aktenzeichen VII ZR 67/11)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 8. Zivilkammer des LG Koblenz vom 22.5.2009 hinsichtlich der Klageabweisung gegen die Beklagten teilweise abgeändert, soweit die Klägerin einen Anspruch auf einen Mehrpreis zzgl. Zinsen und anteiliger vorgerichtlicher Kosten wegen der Schadstoffbelastung des Bodens weiter verfolgt.

Der Klageantrag ist insoweit dem Grund nach gerechtfertigt.

 

Gründe

A) Die Klägerin betreibt ein Straßenbauunternehmen. Die Beklagten haben Teile der Kreisstraße ... [Z] im Gemeindegebiet der Beklagten zu 2) im Bereich einer Ortsdurchfahrt ausgebaut. Die Arbeiten wurden mit einem gegliederten Leistungsverzeichnis ausgeschrieben (Anlage K 3); u.a. war Boden und Fels zu lösen. Hierzu finden sich mehrere Positionen im Leistungsverzeichnis. Die Beschreibungen lauten beispielhaft: LV Position 02.000002 "zum Verfüllen nicht verwendeten Aushub in Eigentum des AN übernehmen und von der Baustelle entfernen", Position 1.00.20003 "Boden bzw. Fels aus Abtragsbereichen profilgerecht lösen und weiterverwenden ... Boden in Eigentum des AN übernehmen und entsprechend dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrW/AbfG) der Wiederverwertung zuführen."

Die Klägerin erhielt auf der Grundlage dieses Leistungsverzeichnisses den Zuschlag; im Dezember 2002 erfolgte der Vertragsschluss mit den Beklagten (Anlage K 1, K 2).

Im Zuge der Ausführung ergab eine Analyse des gelösten Bodens eine Zuordnungsklasse für Böden nach LAGA (Mitteilungen der Länderarbeitsgemeinschaft Abfall) von Z 1.1 (Anlage K 19.2). Dies bedeutet unstreitig, dass eine geringfügige Schadstoffbelastung vorhanden ist. Eine solche ist im Leistungsverzeichnis nicht erwähnt.

Die Klägerin richtete daraufhin an jede der Beklagten ein Nachtragsangebot (K 4, K 5) mit höheren Einheitspreisen als im Leistungsverzeichnis eingesetzt, als Zulage bei belastetem Boden gemäß LAGA Z 1.1, für Lösen der Böden und Abfahren zu einem genehmigten Endlager einschließlich der Kippgebühr. Die Nachträge wurden abgelehnt. Auch ein Verfahren nach § 18 Abs. 2 VOB/B war nicht erfolgreich (Anlage K 6). Die in die Schlussrechnung eingestellten Positionen (K 8, K 9, K 10) wurden gekürzt.

Die Klägerin hat außerdem Ansprüche wegen Behinderung geltend gemacht. Dieser Komplex ist in der Berufungsinstanz nicht mehr Streitgegenstand.

Die Klägerin verfolgt den Anspruch auf die Preiserhöhung gegen die Beklagte zu 1) im Betrag von 99.806,45 EUR und gegen die Beklagte zu 2) im Betrag von 48.421,97 EUR weiter, den sie auf der Grundlage einer Forderungsaufstellung (Anlage K 30, 364 GA, K 24 Bl. 89 GA) unter Vorlage der Urkalkulation wegen Erschwernissen aufgrund der Schadstoffbelastung der Böden errechnet.

Die Parteien haben unterschiedliche Auffassungen dazu vertreten, ob ein Bieter vorliegend mit einer Schadstoffbelastung rechnen musste und wie das Leistungsverzeichnis bzw. das Vertragswerk unter Berücksichtigung der Regelungen in § 9 VOB/A in der damals gültigen Fassung auszulegen ist. Die Parteien haben des Weiteren darüber gestritten, wie ein - von den Beklagten bestrittener - Mehrpreis im Hinblick auf die Schadstoffbelastung zu berechnen wäre. Hinsichtlich der Einzelheiten, insbesondere der Verwertungsabsicht und Verwertungsmöglichkeit sowie der tatsächlichen Verwertung und der angefallenen Kosten, außerdem zu den tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen der Berücksichtigung dieser Umstände, insbesondere einer Verkaufsabsicht der Klägerin bezüglich des Materials, wurde umfassend widerstreitender Tatsachenvortrag gehalten.

Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt,

1. den Beklagten zu 1) zu verurteilen, an die Klägerin 115.929,90 EUR zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Zinssatz der Spitzenrefinanzierungsfazilität der Europäischen Zentralbank seit dem 9.10.2004 sowie weitere 2.166,50 EUR zu zahlen.

2. Die Beklagte zu 2) zu verurteilen, an die Klägerin 55.208,58 EUR zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Zinssatz der Spitzenrefinanzierungsfazilität der Europäischen Zentralbank seit dem 9.10.2004 sowie weitere 1.704,50 EUR zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Das LG hat nach Beweisaufnahme durch die angefochtene Entscheidung, auf deren tatsächliche Feststellungen nach Maßgabe der Ausführungen im Folgenden gem. § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, unter Abweisung der Klage im Übrigen einen Teil des geltend gemachten Anspruchs aus dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes für Behinderungen zuerkannt; dieser Schadensersatza...

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