Entscheidungsstichwort (Thema)

Ärztlicher Befundauswertungsfehler und Beweislast

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, ob die unrichtige Deutung einer mit bildgebenden Verfahren hergestellten Aufnahme stets als grober Behandlungsfehler zu werten ist.

(Klarstellung zu OLG Koblenz, Urt. v. 31.8.2006 - 5 U 588/06 - in VersR 2006, 1547 m. abl. Anm. Jaeger).

 

Normenkette

BGB §§ 276, 611, 823, 847; ZPO § 286

 

Verfahrensgang

LG Mainz (Urteil vom 13.01.2006; Aktenzeichen 9 O 113/01)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 13.1.2006 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des LG Mainz wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern dieser nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger beansprucht von dem beklagten Arzt Ersatz materiellen Schadens, Zahlung eines Schmerzensgelds und die Feststellung der Verpflichtung, künftig entstehenden materiellen Schaden auszugleichen.

Der Kläger war seit Januar 1990 wegen Nasenbeschwerden in fachärztlicher Behandlung. Sein behandelnder Arzt, Dr. R., überwies ihn wegen der Erfolglosigkeit der ärztlichen Bemühungen an den Beklagten, der am 20.11.1995 eine coronare Computertomographie (CT) erstellte. In seinem Bericht an Dr. R. (Bl. 12 GA) heißt es:

"Normal ausgedehnte Nasennebenhöhlen. Der re. Stirnhöhlenabschnitt ist subtotal durch weichteildichte Strukturen verlegt, ebenso die vorderen und hinteren Siebbeinzellen bds. Nur schmale polypoide Weichteilstrukturen randständig -. Kein Nachweis von Knochendestruktionen".

Dr. R. schloss danach die Behandlung Ende 1995 mit der Diagnose einer chronischen Siebbeinentzündung ab.

Als sich die Beschwerden verschlimmerten, wurde im Universitätsklinikum Mainz eine Untersuchung durchgeführt, die einen bösartigen Befund ergab (vgl. Institut für Pathologie vom 9.12.1998).

Nachdem von Seiten des Beklagten jede Verantwortung im Hinblick auf eine fehlerhafte Befundauswertung zurückgewiesen worden war, wandte sich der Kläger an den Schlichtungsausschuss der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz, der zum Ergebnis kam (Bl. 13-24 GA), das vom Beklagten durchgeführte CT der Nasennebenhöhlen "wurde vermeidbar fehlerhaft befundet".

Der Kläger hat vorgetragen:

Die Diagnose des Beklagten sei grob fehlerhaft gewesen. Dieser hätte bereits 1995 eine Empfehlung aussprechen müssen, zu operieren. Der Tumor hätte dann bereits im Anfangsstadium behandelt werden können mit der Folge, dass der nach zwei Operationen eingetretene vollständige Verlust des Geruchssinns und weitgehende Verlust des Geschmackssinns hätten vermieden werden können. Das gelte auch für weitere Folgeschäden und ständig notwendige Behandlungen. Er leide im Bereich der Operationswunde an Phantomschmerzen und sei gesteigert wetterfühlig. Das Auftreten weiterer Krebsarten sei wahrscheinlich. Wegen depressiver Zustände befinde er sich in nervenärztlicher Behandlung. Wegen der Erkrankung sei er in den vorzeitigen Ruhestand mit den dadurch bedingten Einkommensnachteilen versetzt worden. Er sei Schwerbehinderter mit einem Behinderungsgrad von 80 %. Die Erkrankung erfordere eine lebenslange Behandlung.

Der Kläger hat beantragt:

Der Beklagte wird verurteilt, an ihn 24.064,02 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 22.11.2000 zu zahlen.

Der Beklagte wird verurteilt, an ihn ein Schmerzensgeld zu zahlen i.H.v. mindestens 46.016,27 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten hieraus seit dem 22.11.2000.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm jeden aus der fehlerhaften Befunderhebung vom 20.11.1995 ab 4.4.2001 entstehenden künftigen materiellen Schaden zu ersetzen.

Der Beklagte hat beantragt:

Die Klage wird abgewiesen.

Er hat vorgebracht:

Der beim Kläger später entdeckte Tumor sei bei der Anfertigung der Computertomographie noch nicht vorhanden gewesen und hätte auch bei korrekter Befundung nicht entdeckt werden können. Auch eine zutreffende Diagnose im Jahr 1995 hätte an dem behaupteten Krankheitsverlauf nichts geändert. Die geltend gemachten Beschwerden seien durch die Heilbehandlung hervorgerufen und unvermeidbar.

Das LG hat Beweis erhoben durch Einholung von Sachverständigengutachten. Außerdem hat es den Sachverständigen Prof. Dr. V. angehört. Es hat die Klage abgewiesen im Wesentlichen mit folgender Begründung:

Dem Kläger stehe aus keinem Rechtsgrund ein Anspruch auf Schadensersatz oder auf Schmerzensgeld zu. Dem Beklagten sei bei seiner Diagnose, knöcherne Destruktionen seien nicht vorhanden, zwar ein grober Fehler unterlaufen, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheine, weil der einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen dürfe. Das schließe die Kammer insb. aus den detaillierten Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. V.. Aber auch im Fall einer richtigen Diagnose im Jahr 1995 un...

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