Entscheidungsstichwort (Thema)
Sicherheitsvorkehrungen in einem Pflegeheim
Leitsatz (amtlich)
1. Auch bei einem stark dementen Patienten muss der Betreiber eines Pflegeheims grundsätzlich nicht eine jederzeitige, umfassende Überwachung "auf Schritt und Tritt" sicherstellen.
2. Eine Beweislastumkehr hinsichtlich der Pflichtverletzung aus dem Gesichtspunkt des Herrschafts- oder Organisationsbereiches für die Frage, wie eine bestimmte Gefahrenquelle in einem Pflegeheim entstanden ist, greift nicht ein, wenn die Gefahr ohne weiteres auch durch Dritte entstanden sein kann.
Normenkette
BGB §§ 280, 611, 823, 831
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 13.06.2014; Aktenzeichen 8 O 429/13) |
Tenor
Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das am 13.6.2014 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des LG Köln - 8 O 429/13 - gem. § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Hinweis innerhalb von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses (§ 522 Abs. 2 Satz 3 ZPO).
Gründe
I. Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, weil das angefochtene Urteil weder auf einer Rechtsverletzung beruht noch nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§§ 522 Abs. 2 Nr. 1, 513 Abs. 1 ZPO).
Zu Recht und mit zutreffender und überzeugender Begründung hat das LG die Klage abgewiesen. Der Klägerin steht wegen des Unfalls vom 4.12.2011 kein nach § 116 Abs. 1 SGB X übergegangener, vertraglicher oder deliktischer Anspruch auf Schadensersatz gegen den Beklagten zu. Eine Pflicht- oder Rechtsgutverletzung des Beklagten oder von Personen, deren Verhalten sich der Beklagte zurechnen lassen muss, ist nicht feststellbar.
Den Beklagten treffen als Träger eines Pflegeheims Obhutspflichten zum Schutz seiner Bewohner. Diese Pflichten ergeben sich aus den jeweiligen Heimverträgen und aus einer allgemeinen Verkehrssicherungspflicht mit dem Inhalt, die Heimbewohner vor Schädigungen zu bewahren, die diesen wegen Krankheit oder sonstigen körperlichen oder geistigen Einschränkungen durch sie selbst oder durch die Einrichtung und bauliche Gestaltung des Altenheims drohen. Diese Pflichten sind allerdings begrenzt auf die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind. Maßstab ist insoweit das Erforderliche und das für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare. Dabei ist insbesondere auch zu beachten, dass beim Wohnen in einem Heim die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen und die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohner zu wahren und zu förden sind (BGH, Urt. v. 28.4.2005 - III ZR 399/04, Tz. 2).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine durch den Beklagten oder durch das bei ihm tätige Pflegepersonal begangene Pflichtverletzung nicht erkennbar. Das Pflegepersonal des Beklagten war nicht verpflichtet, die Heimbewohnerin Frau X (im Folgenden: die Versicherungsnehmerin) beim Herumgehen auf dem Flur ständig zu begleiten oder zu beobachten. Bei Abwägung der Gefahren, die mit einer nicht ständigen Beaufsichtigung der Versicherungsnehmerin verbunden waren, den personellen Möglichkeiten eines Pflegeheims, aber nicht zuletzt auch unter Berücksichtigung der den persönlichen Freiheitsbereich betreffenden Einschränkungen, die die Versicherungsnehmer durch eine ständige Begleitung und Überwachung auf Schritt und Tritt durch Pflegepersonal erfahren hätte und die sie in der Bewahrung eines Mindestmaßes an Selbständigkeit gehindert hätte, war eine permanente Beaufsichtigung durch das Pflegepersonal nicht geboten. Dabei geht der Senat wie das LG davon aus, dass die Versicherungsnehmerin lediglich aufgrund ihrer demenzbedingten Orientierungslosigkeit Hilfe beim Gehen bedurfte, soweit sie den Weg finden und sich beispielsweise von ihrem Zimmer in den Speisesaal begeben wollte. Dass sie Hilfe auch beim bloßen, ziellosen Herumgehen auf der Station bedurfte, ist hingegen nicht feststellbar. Der für den MDK Nordrhein für die Erstattung eines Gutachtens zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß SGB XI tätig gewordene Gutachter T hat zwar auf Seite 6 des Gutachtens vom 16.9.2011 ausgeführt, der Versicherungsnehmerin sei das "Gehen und Stehen ... nur mit Hilfe von einer Pflegeperson möglich", eine Begleitung sei "wegen Gangunsicherheit, Sturzneigung und Orientierungsstörung ständig erforderlich". Der Gutachter hat jedoch seinen eigenen Ausführungen zufolge auf eine Überprüfung der Gehfähigkeiten der Versicherungsnehmerin aufgrund ihrer massiven kognitiven Defizite verzichtet und den Hilfebedarf unterstellt. Der Gutachter hat den Hilfebedarf aufgrund der kognitiven Defizite und der damit verbundenen Orientierungsstörungen angenommen, ohne eine Gangunsicherheit selbst festgestellt zu haben. Dies konnte er tun, da es bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß SGB X...