Entscheidungsstichwort (Thema)
Betreuerbestellung, Bestellungsvoraussetzungen, Sachverständigengutachten
Leitsatz (amtlich)
Die bloße Diagnose des Verdachts einer psychischen Erkrankung in einem Sachverständigengutachten rechtfertigt noch keine Betreuerbestellung.
Normenkette
BGB § 1896 Abs. 1; FGG § 68b Abs. 1
Verfahrensgang
LG Bonn (Beschluss vom 03.06.2009; Aktenzeichen 4 T 231/09) |
AG Bonn (Aktenzeichen 38 XVII W 814) |
Tenor
1. Dem Betroffenen wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt S. ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt.
2. Auf die weitere und sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Bonn vom 3.6.2009 - 4 T 231/09 - aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.
Gründe
Die Rechtsmittel, die sich allein gegen den Beschluss des LG vom 3.6.2009 - 4 T 231/09 - (Zurückweisung der Beschwerde gegen den Beschluss des AG vom 27.7.2006) richten, sind zulässig. In der Sache führen sie zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und zur Zurückverweisung an das LG, dessen Entscheidung aus Rechtsgründen (§§ 27 FGG, 546 ZPO) nicht bestehen bleiben kann.
Die vom LG bisher getroffenen Feststellungen vermögen die Bestellung eines Betreuers für den Betroffenen nicht zu rechtfertigen. Es bedarf weiterer gerichtlicher Ermittlungen nach § 12 FGG.
Aus dem in erster Instanz eingeholten Gutachten der Sachverständigen Dr. G. vom 17.4.2009 ergibt sich nicht mit hinreichender Sicherheit, dass der Betroffene an einer psychischen Erkrankung leidet und deswegen seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann (§ 1896 Abs. 1 BGB). Dies wird von dem Betroffenen in der Rechtsbeschwerde zu Recht gerügt.
Zwar hat die Sachverständige den Untersuchungsbefund, aus dem sie ihre Diagnose ableitet, im Einzelnen anhand der Vorgeschichte des Betroffenen, der persönlichen Kommunikation mit ihm sowie sonstiger Erkenntnisse mitgeteilt und die Folgerungen aus den einzelnen Befundtatsachen auf die Diagnose wissenschaftlich begründet und nachvollziehbar dargestellt. Der Betroffene rügt jedoch zu Recht, dass es sich bei der Diagnose der Sachverständigen nach ihren eigenen Ausführungen um eine reine Verdachtsdiagnose handelt. Die Sachverständige stellte bei dem Betroffenen ausgeprägte Störungen der Informationsverarbeitung sowie eine annähernd aufgehobene Umstellungsfähigkeit fest, desweiteren Störungen der Ausdauer, der Belastbarkeit, der Konzentration sowie ein mangelhaftes Kommunikationsvermögen und ausgeprägte, geradezu zwanghafte Perseverationen. Nach ihren Ausführungen sind diese Störungen typischer Ausdruck sog. Basisstörungen, die entweder (mit einer Wahrscheinlichkeit von 60 %) in eine manifeste Paranoide Schizophrenie münden oder als Ausdruck einer blanden Psychose bestehen bleiben können. Wenn die Sachverständige sodann ausführt, dass regelmäßige Vorstellungen beim Facharzt "die Verdachtsdiagnose, die sich aus dem Längsschnitt mit Persistenz der Basisstörungen ergibt" erhärten könnten, bestehen begründete Zweifel, ob die Sachverständige von einer bereits bestehenden behandlungsbedürftigen Psychose des Betroffenen ausgeht. Da für die Erfüllung des medizinischen Tatbestandes des § 1896 Abs. 1 BGB allein ein Verdacht nicht genügt (OLG Köln vom 22.6.2005 - 16 Wx 70/05, OLGReport Köln 2005, 680 m.w.N.), hätte das LG von Amts wegen eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen einholen müssen.
Bildet das in erster Instanz eingeholte Gutachten keine hinreichende Tatsachengrundlage, so ist es verfahrensfehlerhaft, wenn das Beschwerdegericht sich gem. § 69g Abs. 5 Satz 4 FGG hierauf stützt und von einer erneuten bzw. ergänzenden Begutachtung nach Satz 1 dieser Norm i.V.m. § 68b FGG absieht.
Die angefochtene Entscheidung ist deshalb aufzuheben und das LG wird nach Zurückverweisung weitere Ermittlungen anzustellen haben. In Anbetracht der Einwendungen, die der Betroffene gegen das Gutachten vom 17.4.2009 erhebt, spricht vieles für eine mündliche Anhörung der Sachverständigen im Beisein des Betroffenen und seines Verfahrensbevollmächtigten, zumal die Anhörung des Betroffenen vor dem Beschwerdegericht jedenfalls nach ergänzender Beweisaufnahme in zweiter Instanz zwingend geboten ist. Dabei wird sich das LG auch einen persönlichen Eindruck darüber zu verschaffen haben, ob der Betroffene - wie die Sachverständige in ihrem Gutachten ausführt - nicht in der Lage ist, seinen Willen frei zu bestimmen (§ 1896 Abs. 1a BGB), insbesondere ob er Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung intellektuell nicht zu erfassen vermag.
Sollte sich nach weiteren Ermittlungen die Erforderlichkeit der Betreuung verifizieren lassen, wird das LG auch zu jedem Aufgabenkreis zu prüfen haben, ob der Betroffene auf entsprechende Hilfen angewiesen ist oder weniger einschneidende Maßnahmen in Betracht kommen (§ 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB). Insoweit ist insbesondere zu klären, ob der Aufgabenkreis der Gesundheitssorge auf den nervenärztlichen Bereich zu...