Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterlassen gebotener Kontrollen auf Vitamin B-12-Mangel bei Magen- und Dünndarm-Teilresektion

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Unterlassen von gebotenen regelmäßigen Kontrollen im Hinblick auf einen etwa eintretenden Vitamin B-12-Mangel nach einer Teilresektion von Magen und Dünndarm stellt sich ebenso als Befunderhebungsmangel dar wie das Unterlassen der entsprechenden therapeutischen Warnhinweise an den Patienten.

2. Ein grober Befunderhebungsmangel liegt nicht vor, wenn das Vorliegen eines Vitamin B-12-Mangels wegen des geringen Umfangs der Resektion wenig wahrscheinlich ist und wenn (im Falle eines Vitamin B-12-Mangels innerhalb eines bestimmten Zeitraums eigentlich zu erwartende) klinische Auffälligkeiten nicht gegeben sind, die bei Vorliegen ohne weiteres therapierbar gewesen wären.

 

Normenkette

BGB § 280 Abs. 1, §§ 278, 823 Abs. 1, § 831 Abs. 1

 

Tenor

In dem Rechtsstreit pp. wird der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren zurückgewiesen.

 

Gründe

Die von der Klägerin beabsichtigte Rechtsverfolgung hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 114 ZPO.

Die Klägerin kann von den Beklagten weder die Zahlung eines Schmerzensgeldes noch materiellen Schadensersatz verlangen. Das LG hat einen schadensursächlichen Behandlungsfehler mit zutreffender Begründung verneint.

1. Die Beklagten haben es nicht fehlerhaft unterlassen, unmittelbar nach der am 23.11.1999 durchgeführten Teilresektion des Magens und des unteren Dünndarms oder sonst unabhängig von einem erniedrigten Vitamin B 12-Serumspiegel oder sonstigen Anhaltspunkten für eine Störung der Vitamin B 12-Resorption Vitamin B 12 zu substituieren.

Dies entspricht der Beurteilung von Prof. Dr. U. und Dr. L., dass die Notwendigkeit einer Vitamin B 12-Substitution nicht prinzipiell gegeben gewesen sei, der Prof. Dr. T. ausdrücklich zugestimmt hat (S. 13 des Ergänzungsgutachtens vom 18.8.2015, im SH IV). Die gegenteilige Auffassung von Dr. I. vermag nicht zu überzeugen. Sie berücksichtigt nicht, dass eine Teilresektion des Magens von etwa einem Fünftel und eine Teilresektion des unteren Dünndarms - Prof. Dr. T. hat die im pathologischen Bericht beschriebene Länge mit 13,5 cm angegeben - nicht notwendig dazu führen, dass im Magen nicht mehr genug Vitamin B 12 bindender intrinsic factor gebildet oder im terminalen Illeum gebundenes Vitamin B 12 nicht mehr ausreichend aufgenommen wird. Die Wahrscheinlichkeit einer Störung sinkt nach Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. U./Dr. L. und Prof. Dr. T., wenn die entfernten Teile des Magens und des unteren Dünndarms - wie hier - eher gering sind. Es leuchtet daher ein, dass Vitamin B 12 nicht primär zu ersetzen ist, sondern erst dann, wenn sich bei Kontrollen ein erniedrigter Vitamin B 12-Serumspiegel oder sonstige Anhaltspunkte für eine Störung der Vitamin B 12-Resorption zeigen.

2. Es lässt sich nicht feststellen, dass das Unterlassen der gebotenen Befunderhebung dazu geführt hat, dass die Klägerin unter einer Gangstörung, einer Lähmung der Beinmuskulatur, einer schweren Polyneuropathie und weiteren neurologischen Symptomen leidet.

Nach den vom LG zugrunde gelegten Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. U. und Dr. L. haben es die Beklagten, da die Gefahr eines Vitamin B 12-Mangels angesichts der resizierten Anteile von Magen und unterem Dünndarm zwar gering, aber nicht auszuschließen gewesen sei, in den Jahren nach der Operation vom 23.11.1999 fehlerhaft unterlassen, die Vitamin B 12-Resorption zu überprüfen, insbesondere eine Bestimmung des Vitamin B 12-Serumspiegels vorzunehmen. Ein sachgerechtes Kontrollintervall habe bei zwei Jahren gelegen. Dies entspricht der Beurteilung von Prof. Dr. T., der in seiner Stellungnahme zum schriftlichen Gutachten von Prof. Dr. U. und Dr. L. insbesondere den Zweijahreszeitraum nicht beanstandet hat.

Die neurologischen Beeinträchtigungen der Klägerin wären durch diese Vorgehensweise nur dann vermieden worden, wenn sich bei den Kontrollen ein reaktionspflichtiger Vitamin B 12-Mangel gezeigt hätte und wenn die dann gebotene Substitution von Vitamin B 12 die Entstehung der neurologischen Beeinträchtigungen verhindert hätte, also diese auf dem Vitamin B 12-Mangel und nicht auf einer anderen Ursache beruhen. Dies lässt sich nicht feststellen.

Beweiserleichterungen wegen eines groben Behandlungsfehlers oder wegen des anzunehmenden Befunderhebungsfehlers kommen der Klägerin insoweit nicht zu Gute.

Das Unterlassen der Befunderhebung stellte keinen groben Behandlungsfehler dar. Ein Behandlungsfehler ist als grob zu bewerten, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (BGH, Urteil vom 25.10.2011 - VI ZR 139/10, iuris Rdn. 8 m. w. Nachw., abgedruckt in VersR 2012, 362 f.). Die Beurteilung, ob ein Behandlungsfehl...

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