Entscheidungsstichwort (Thema)
Sturz im Krankenhaus
Leitsatz (amtlich)
1. Wird ein 73 Jahre alter Patient, der bislang zuhause allein gelebt und sich selbständig versorgt hat, wegen Gallenproblemen in einem Krankenhaus stationär aufgenommen und gibt er dort an, ihm sei in den Tagen zuvor mehrmals schwindelig geworden und er sei am Vortag aufgrund starker Oberbauchschmerzen ohnmächtig geworden, sind weder die Verordnung und Überwachung einer vollständigen Bettruhe des Patienten noch freiheitsentziehende Maßnahmen wie die Anbringung eines Bettgitters veranlasst.
2. Es liegt kein Fall des voll beherrschbaren Risikos vor, wenn der Patient bei seinem unbegleiteten Weg von seinem Krankenzimmer zur Toilette stürzt.
Normenkette
BGB § 280 Abs. 1, §§ 278, 823 Abs. 1, § 831 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Aachen (Urteil vom 15.06.2016; Aktenzeichen 11 O 43/15) |
Tenor
Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das am 15.06.2016 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des LG Aachen - 11 O 43/15 - gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Hinweis innerhalb von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses (§ 522 Abs. 2 Satz 3 ZPO).
Gründe
I. Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, weil das angefochtene Urteil weder auf einer Rechtsverletzung beruht noch nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§§ 522 Abs. 2 Nr. 1, 513 Abs. 1 ZPO). Zu Recht hat das LG die auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung der Schadensersatzpflicht gerichtete Klage abgewiesen. Dem Kläger stehen keine Ansprüche gegen den Beklagten aufgrund des Sturzereignisses vom 22.04.2012 zu, weil er den Beweis schadensursächlicher Behandlungs- und/oder Pflegefehler nicht erbracht hat. Auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung nimmt der Senat vollumfänglich Bezug. Im Hinblick auf die Ausführungen der Berufungsbegründung sind lediglich folgende ergänzende Ausführungen veranlasst:
1.) Ein Behandlungsfehler der behandelnden Ärzte im Zusammenhang mit der Verordnung von Medikamenten bei Aufnahme im Krankenhaus am 20.04.2012 ist nicht erwiesen. Dem Kläger wurden auf ärztliche Anordnung als neue Medikamente lediglich die Antibiotika Cefuroxim und Metronidazol verabreicht. Im Übrigen blieb es bei der Medikation, die der Kläger schon vor dem Krankenhausaufenthalt aufgrund seiner multiplen Vorerkrankungen eingenommen hatte. Die verordneten Medikamente waren nach dem - insoweit auch nicht angegriffenen - Gutachten von Prof. Dr. P indiziert. Soweit der Kläger behauptet, die Medikamente hätten in ihrem Zusammenwirken Schwindel hervorgerufen, hat der Sachverständige ausgeführt, dass die Medikamente Cefuroxim und Metronidazol nicht in dem Ruf stünden, Schwindel als Nebenwirkung hervorzurufen. Ob die übrigen Medikamente, die der Kläger schon vor dem Krankenhausaufenthalt seit längerer Zeit eingenommen hatte, möglicherweise in ihrem Zusammenwirken Schwindel hervorrufen können, ist für die Frage eines von den Ärzten im Krankenhaus zu verantworteten Behandlungsfehlers der im Hause des Beklagten tätigen Ärzte nicht relevant. Einer sachverständigen Auseinandersetzung bedurfte es daher insoweit nicht.
2.) Der Schwerpunkt des klägerischen Vorwurfs geht auch dahin, dass auf die Schwindelsymptome, die am 21.04.2012 beim Wiegen auftraten und von denen der Kläger bereits bei Aufnahme im Rahmen der Anamnese berichtet hatte, nicht rechtzeitig reagiert worden ist. Nach dem Ergebnis des auch den Senat überzeugenden Gutachtens von Prof. Dr. P sind den im Krankenhaus des Beklagten tätigen ärztlichen und pflegerischen Personal insoweit jedoch keine schadensursächlichen Versäumnisse vorzuwerfen.
Die Ärzte und Pfleger waren zunächst nicht gehalten gewesen, den Kläger durch freiheitsentziehende Maßnahmen (wie bspw. durch Hochziehen eines Bettgitters) daran zu hindern, das Bett zu verlassen, den Kläger dauerhaft zu überwachen oder ihm eine vollständige Bettruhe zu verordnen. Der Sachverständige Prof. Dr. P hat ausgeführt, derartige Maßnahmen seien auch unter Berücksichtigung des beim Wiegen am 21.04.2012 und schon vor dem Krankenhausaufenthalt aufgetretenen Schwindels nicht angezeigt gewesen. Der Kläger habe sich selbstständig versorgen können und er sei vollständig orientiert und mobil gewesen. Die Feststellung des Sachverständigen, dass bei dem Kläger keine besonderen Maßnahmen zur Sturzprophylaxe angezeigt waren, überzeugt. Es entspricht auch der Kenntnis und der Erfahrung des ständig mit Arztsachen betrauten Senates, dass es aus medizinischer und pflegerischer Sicht sinnvoll ist, dass sich - auch ältere und morbide - Patienten während ihres Aufenthaltes im Krankenhaus soweit und solange wie möglich selbständig bewegen und versorgen. Dies dient dazu, die Mobilität und Eigenständigkeit der Patienten zu erhalten. Freiheitsentziehende oder andere, die Selbstbestimmung des Patienten beschränkende Maßnahmen, sind dagege...