Leitsatz (amtlich)

1. Das selbstständige Beweisverfahren ist auch im Versicherungsprozess gegen eine Berufsunfähigkeitsversicherung grundsätzlich zulässig. Ist ein Hauptsacheverfahren jedoch bereits anhängig, richtet sich die Zulässigkeit des Beweissicherungsverfahrens nicht nach § 485 Abs. 2 ZPO, sondern nur nach § 485 Abs. 1 ZPO.

2. Der Antrag ist nur zulässig, wenn Gefahr besteht, dass die bezeichneten Beweismittel verloren gehen oder ihre Benutzung erschwert wird.

3. Ein auf Beiziehung einer medizinischen Behandlungsdokumentation zwecks Augenscheinnahme gerichteter Beweissicherungsantrag ist unzulässig, soweit der Antragsteller diese gem. § 630g BGB selber von seinen behandelnden Ärzten ausfordern und auf diesem Weg vor Verlust sichern kann.

4. Ein auf Zeugenvernehmung des behandelnden Arztes gerichteter Beweissicherungsantrag, der mit dem drohenden Erinnerungsverlust des Zeugen begründet wird, ist unzulässig, wenn ein Verlust des Erinnerungsvermögens des Zeugen deswegen nicht droht, weil es dieser jederzeit durch die Vergegenwärtigung seiner Behandlungsdokumentation wieder auffrischen kann.

5. Ein auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zwecks Untersuchung des Antragstellers gerichteter Beweissicherungsantrag, der mit drohenden Beweismittelverlusts wegen Suizidaliät des Antragstellers begründet wird, setzt voraus, dass die Selbstmordgefährdung konkret dargelegt wird.

6. Der Streitwert des Beweissicherungsverfahrens entspricht demjenigen der Hauptsache.

 

Verfahrensgang

LG Köln (Aktenzeichen 26 O 360/16)

 

Tenor

Der Antrag des Klägers vom 09.07.2019 auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens wird zurückgewiesen.

Die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Der Wert wird auf 223.795,70 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts folgt im Hinblick auf das unter gleichem Aktenzeichen anhängige Hauptsacheverfahren aus § 486 Abs. 1 ZPO.

Der Antrag vom 09.07.2019 auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens war jedoch als unzulässig zu rückzuweisen, da die Voraussetzungen des § 485 ZPO nicht vorliegen.

Da vorliegend ein Hauptsacheverfahren bereits anhängig ist, bemisst sich die Zulässigkeit des Beweissicherungsverfahrens nicht nach § 485 Abs. 2 ZPO, sondern nach § 485 Abs. 1 ZPO. Danach kann während oder außerhalb eines Streitverfahrens auf Antrag einer Partei die Einnahme des Augenscheins, die Vernehmung von Zeugen oder die Begutachtung durch einen Sachverständigen angeordnet werden, wenn der Gegner zustimmt oder zu besorgen ist, dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert wird.

Die Beklagte hat der Durchführung des Beweissicherungsverfahrens nicht zugestimmt, sondern dieser mit Schriftsatz vom 17.07.2019 sogar ausdrücklich widersprochen.

Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die Besorgnis des Verlusts eines Beweismittels besteht oder seine Benutzung erschwert werden könnte.

Der Kläger möchte im selbständigen Beweisverfahren seinen Gesundheitszustand im Zeitraum zwischen August 2008 und August 2014 sowie sich hieraus etwa ergebende Auswirkungen auf seine Berufsfähigkeit und sein Vermögen, sich an geführte Gespräche mit der Beklagten und deren Mitarbeitern zu erinnern, geklärt wissen.

Hierzu soll eine Inaugenscheinnahme durch den Senat in bei diversen Ärzten und Kliniken vorhandene Behandlungsdokumentationen erfolgen, der Hausarzt des Klägers, Herr G. P., zeugenschaftlich vernommen und ein Sachverständigengutachten eingeholt werden. Dass diese Beweismittel Gefahr laufen, verloren zu gehen oder ihre Benutzung erschwert werden könnte, ist indes nicht ersichtlich.

Soweit der Kläger geltend macht, die für die Behandlungsdokumentationen geltenden Aufbewahrungsfristen nach § 630f Abs. 3 BGB stünden vor ihrem Ablauf, ergibt sich hieraus entsprechendes nicht. Denn dem Kläger ist es - wie dieser selbst erkannt hat - ohne weiteres möglich, in Ausübung der ihm zustehenden Rechte nach § 630g BGB vor Ablauf der Aufbewahrungsfristen - sofern diese nicht bereits abgelaufen sind - Einsicht in die Behandlungsdokumentationen zu nehmen und - sofern eine Aushändigung nicht möglich ist - Abschriften zu verlangen.

Eine im Rahmen von § 485 Abs. 1 ZPO relevante Beeinträchtigung des Erinnerungsvermögens des Zeugen P. ist ebenfalls nicht zu besorgen. Das Erinnerungsvermögen von Zeugen mag regelmäßig abnehmen, je weiter das den Gegenstand der Befragung ausmachende Geschehen zurückliegt. Dieser Umstand liegt aber in der Natur einer jeden Zeugenbefragung und ist nicht geeignet, die besonderen Voraussetzungen für die Durchführung eines Beweissicherungsverfahrens zu begründen. Vorliegend gilt dies umso mehr, als es dem Zeugen unbenommen wäre, eine etwa verblassende Erinnerung durch Einblick in die Behandlungsdokumentation aufzufrischen.

Die Besorgnis des Verlusts von Beweismitteln ergibt sich schließlich auch nicht aus einem lebensbedrohlichen Gesundheitszustand des Klägers. Einen solchen Gesundheitszustand hat der Kläger nicht dargelegt und glaubhaft gema...

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