Entscheidungsstichwort (Thema)

Selbständiges Beweisverfahren im Arzthaftungsbereich auch bei Fragen nach (groben) Behandlungsfehlern zulässig

 

Leitsatz (amtlich)

Der Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens ist im Arzthaftungsbereich grundsätzlich auch dann zulässig, wenn er auch oder sogar im Wesentlichen Fragen zum Gegenstand hat, die rechtlicher Wertung bedürfen, wie die Frage nach einem Behandlungsfehler oder seiner Bewertung als grober Fehler, solange die Fragen auch einer sachverständigen Beurteilung bedürfen (Anschluss an BGH Beschl. vom 24.9.2013, VI ZB 12/13, BGHZ 198, 237 ff.; Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung).

 

Normenkette

ZPO § 485

 

Verfahrensgang

LG Köln (Beschluss vom 28.09.2016; Aktenzeichen 25 OH 2/16)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des LG Köln vom 28.9.2016 (25 OH 2/16) abgeändert:

I. Auf Antrag der Antragstellerin soll Beweis erhoben werden durch Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens über folgende Fragen:

1. Lagen bei der Antragstellerin im Oktober 2015 ein Plicasyndrom und eine reaktive Hoffaitis im rechten Knie vor? Oder lag vielmehr eine Osteochondrosis dissecans der rechten Femurkondyle vor (ggf. in welchem Stadium) vor?

2. Entsprach die Diagnose "Plicasyndrom, reaktive Hoffaitis rechtes Knie" fachärztlichem Standard in dem Sinne, dass die Diagnose vertretbar war?

3. Hätte vor (oder ggf. nach) dem operativen Eingriff eine bildgebende Untersuchung (Röntgen-, CT-, MRT-Untersuchung) stattfinden müssen? Hätten diese einen reaktionspflichtigen Befund ergeben? Ggf. welchen und mit welchem Grad an Wahrscheinlichkeit?

4. War die Behandlung der Antragstellerin durch den Antragsgegner in der Zeit ab dem 6.10.2015 fehlerhaft? Hätten weitere diagnostische Maßnahmen getroffen werden müssen? Hätten andere Behandlungsmaßnahmen ergriffen werden müssen?

5. Sind etwaige Abweichungen vom fachärztlichen Standard als Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte Erkenntnisse anzusehen und als Fehler, der aus objektiver medizinischer Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf? Wäre das Nichtreagieren auf einen reaktionspflichtigen Befund (vgl. Frage 3) als ein Fehler in diesem Sinne zu verstehen?

6. Welche Folgen haben etwaige Behandlungsfehler für die Antragstellerin? Insbesondere: Wäre eine zweite Operation notwendig gewesen? Hätte das Krankheitsbild der Antragstellerin, wie es sich aktuell darstellt, verhindert werden können? Wäre eine folgenlose Ausheilung der Beschwerden der Antragstellerin erfolgt? Wäre eine folgenlose Ausheilung möglich gewesen? Welche Beschwerden wären ggf. verblieben?

II. Zum Sachverständigen wird bestimmt:

Prof. Dr. med. Dr. h. c. K K2

Chefarzt Orthopädie des K3-F-L O

B I XX

XXXXX P.

III. Die Beauftragung des Sachverständigen ist davon abhängig, dass die Antragstellerin einen Kostenvorschuss von 2.000.- EUR einzahlt. Frist: 4 Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.

 

Gründe

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und nach Vorlage weiterer Unterlagen gemäß Hinweis vom 29.11.2016 auch begründet. Nach der grundlegenden Entscheidung des BGH vom 24.9.2013, VI ZB 12/13, BGHZ 198, 237 ff., ist davon auszugehen, dass ein Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens auch dann zulässig ist, wenn er auch oder sogar im Wesentlichen Fragen zum Gegenstand hat, die einer rechtlichen Wertung bedürfen, wie die Frage nach einem Behandlungsfehler oder seiner Bewertung als grober Fehler. Der BGH bejaht grundsätzlich ein rechtliches Interesse an der vorprozessualen Beweissicherung, wenn die Feststellungen der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen können, was auch dann der Fall sein kann, wenn möglicherweise eine abschließende Klärung durch das einzuholende Gutachten nicht möglich ist und weiter gehende Aufklärungen erforderlich erscheinen (BGH aaO, Rz. 18). Dass der Gegner ankündigt, sich einem Ergebnis der Begutachtung nicht beugen zu wollen, ist nach ständiger Rechtsprechung dabei kein Hinderungsgrund. Die Zulässigkeit von Fragen, die rechtlicher Bewertung bedürfen (Behandlungsfehler, grober Fehler) wird damit begründet, dass wegen des objektiven Fahrlässigkeitsmaßstabes im Arzthaftungsrecht und wegen der nur auf der Basis sachverständiger Grundlagen zu treffenden Wertungen die rechtlichen Bewertungen in einem solchen Maße von der Beurteilung der damit zusammenhängenden fachmedizinischen Fragen abhängig ist, dass es als sinnvoll anzusehen ist, sie im Beweisverfahren zuzulassen, weil sie die Entscheidung zur Klageerhebung oder zur Verteidigung gegen die Klage maßgeblich mit beeinflussen (BGH aaO, Rz. 21, 22).

Dieser Rechtsprechung des BGH (die in der Literatur keineswegs nur Zustimmung erfahren hat, vgl. etwa Fellner MDR 2014, 66 ff.; Laumen, MedR 2015, 12 ff.; Walter, MedR 2014, 304 ff. u.v.a.m.) folgt auch der Senat künftig. Die Mutmaßung der Kammer, es könne sich hierbei u...

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