Leitsatz (amtlich)
Im Hinblick auf die Verfahrensgarantien des Art. 104 GG und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist es unzulässig, pauschal und ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalles immer dann, wenn ein Ausländer sich zunächst in Untersuchungshaft befindet, im Anschluss an diese Haft, deren Dauer noch nicht absehbar ist, quasi auf Vorrat eine Sicherungshaft von 3 Monaten anzuordnen. Eine Überhaft von einem Monat ist regelmäßig ausreichend, um nach Beendigung der Untersuchungshaft, während deren Dauer die Behörde nicht untätig bleiben darf, sondern bereits alles ihr zur Vorbereitung der Abschiebung Mögliche einleiten muss, die während der Untersuchungshaft nicht möglichen abschließenden Schritte zur Durchführung der Abschiebung durchzuführen.
Normenkette
AuslG § 57 Abs. 2 S. 4
Verfahrensgang
LG Köln (Beschluss vom 07.05.2003; Aktenzeichen 6 T 148/03) |
AG Bergheim (Aktenzeichen 40 XIV 395/03) |
Tenor
Die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des LG Köln vom 7.5.2003 – 6 T 148/03 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Haftanordnung wie folgt neu gefasst wird:
Gegen den Betroffenen wird mit Wirkung ab dem 6.5.2003 für die Dauer von 2 Monaten Abschiebungshaft als Sicherungshaft angeordnet.
Der Betroffene hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
Die gemäß §§ 3 Satz 2, 7 Abs. 1 FEVG, 103 Abs. 2 AuslG, 27, 29 FGG zulässige sofortige weitere Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
De Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungshaft liegen aus den zutreffenden und durch das Vorbringen der Rechtsbeschwerde nicht entkräfteten Gründen des angefochtenen Beschlusses, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, ersichtlich vor.
Nach dem der Beschwerdekammer im Zeitpunkt seiner Entscheidung bekannten Sachverhalt wäre allerdings die Anordnung einer Überhaft von 3 Monaten nicht gerechtfertigt gewesen, sondern nur eine solche von 1 Monat. Im Hinblick darauf, dass die Ausländerbehörde bereits während der Vollstreckung der Untersuchungshaft notwendige Vorbereitungen für die Abschiebung zu treffen hat, wird dieser Zeitraum in der Regel ausreichen, um ihr die Abschiebung im Anschluss an die Untersuchungshaft zu ermöglichen, wie der Senat schon wiederholt in Verfahren, an denen der Antragsteller beteiligt war, entschieden hat (OLG Köln, Beschl. v. 10.8.2001 – 16 Wx 159/01; Beschl. v. 22.5.2002 – 16 Wx 77/02; Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl., § 57 Rz. 24). Gründe, die eine Abweichung von diesem Grundsatz hätten rechtfertigen können, waren nach Aktenlage im Zeitpunkt der Entscheidung des AG oder LG nicht erkennbar. Schon aus verfassungsrechtlichen Gründen, nämlich wegen der Verfahrensgarantien des Art. 104 GG und wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geht es nicht an, pauschal und ohne Rücksicht auf Umstände des Einzelfalles in jedem Falle, in dem ein Ausländer sich zunächst in Untersuchungshaft befindet, im Anschluss an diese Haft, deren Dauer zunächst nicht absehbar ist, quasi „auf Vorrat” eine Sicherungshaft von 3 Monaten anzuordnen. Eine derartige Handhabung widerspricht dem hohem Rang des Freiheitsgrundrechts eines Betroffenen und hätte vor allem die Folge, dass die nach Art. 104 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. GG erforderliche richterliche Kontrolle der Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 S. 4 AuslG nicht mehr gewährleistet wäre; denn die Dreimonatsfrist des § 57 Abs. 2 S. 4 AuslG beginnt im Falle der Anordnung von Sicherungshaft als Überhaft im Anschluss an eine Untersuchungs- oder Strafhaft nicht erst mit deren Vollzug, sondern bereits mit der Anordnung selbst (vgl. z.B. OLG Köln, Beschl. v. 16.12.2002 – 16 Wx 252/02; Beschl. v. 24.5.2002 – 16 Wx 91/02, OLGReport Köln 2002, 364 = NVwZ-Beilage I 4/2003, 8; OLG Düsseldorf FGPrax 2001, 130 = InfAuslR 2001, 340; SchlHOLG FGPrax 2000, 167 = InfAuslR 2000, 449; KG Berlin v. 6.12.1994 – 1 W 6129/94, FGPrax 1995, 83; OLG Hamm v. 24.8.1992 – 15 W 219/92, NVwZ-RR 1993, 273; LG Bielefeld InfAuslR 2001, 347). Wenn deshalb im Anschluss an eine zu vollstreckende Untersuchungs- oder Strafhaft eine Sicherungshaft von 3 Monaten angeordnet wird, kann dies zu einer Überschreitung der Regelfrist führen. Hierbei soll nicht angezweifelt werden, dass die Ausländerbehörden dann, wenn Haftvoraussetzungen wegfallen, pflichtgemäß handeln. Nur steht deren Handeln nach dem Grundgesetz bei Freiheitsentziehungen unter der Kontrolle des Richters, der alleine über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Haft entscheiden darf und der er sich dem nicht durch eine Haftanordnung entziehen kann, die – was er im Zeitpunkt seiner Entscheidung noch nicht beurteilen kann – möglicherweise eine gesetzlich vorgesehene Frist überschreitet. Auch gebietet es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG, dass in jeder Lage des Verfahrens das öffentliche Interesse an der Sicherung der Abschiebung und das Freiheitsinteresse des Betroffenen abgewogen und geprüft wird, ob die Anordnung bzw. Aufrechter...