Leitsatz (amtlich)
1. Zur Frage, ob ein nationaler Verstoß gegen harmonisiertes Gemeinschaftsrecht zugleich auch einen Verstoß gegen Art. 28 des EG-Vertrages und des darin enthaltenen Grundsatzes des freien Warenverkehrs darstellt.
2. Zur Frage der Verjährung des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs.
Normenkette
EGV Art. 28
Verfahrensgang
LG Bonn (Urteil vom 30.01.2004; Aktenzeichen 1 O 459/00) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Bonn vom 30.1.2004 - 1 O 459/00 - wird unter teilweiser Abänderung dieses Urteils der Klageanspruch dem Grunde nach insgesamt für gerechtfertigt erklärt.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Zur weiteren Verhandlung und Entscheidung über die Schadenshöhe wird der Rechtsstreit an das LG Bonn zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten - einschließlich der zweitinstanzlichen Kosten - des Rechtsstreits vorbehalten bleibt.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt aus abgetretenem Recht der dänischen Schweinezüchter und Schlachthofgesellschaften von der Beklagten Schadensersatz wegen Verletzung Europäischen Gemeinschaftsrechts. Gegenstand des Verfahrens ist der von der Klägerin erhobene Vorwurf, die Beklagte habe von Anfang 1993 bis 1999 entgegen geltendem Gemeinschaftsrecht faktisch ein Importverbot für Fleisch von nicht kastrierten männlichen Schweinen aus Dänemark verhängt, wodurch den dänischen Bauern bzw. Schlachthofgesellschaften ein Schaden von mindestens 280.000.000 DM entstanden sei. Dem liegt kurz gefasst folgender Sachverhalt zugrunde:
Der ganz überwiegende Teil der dänischen Schweinefleischproduktion ist für den Export bestimmt, vor allem auch in die Bundesrepublik Deutschland, wobei neben Fleischzuschnitten von weiblichen Schweinen ursprünglich im Wesentlichen das Fleisch von kastrierten männlichen Schweinen zur Ausfuhr gelangte. Aufgrund entsprechender Forschungsergebnisse gelangte man in Dänemark zu der Auffassung, dass die Aufzucht von nicht kastrierten männlichen Schweinen erhebliche - neben Tierschutzaspekten vor allem wirtschaftliche - Vorteile biete, weshalb spätestens Anfang der 90er Jahre das sog. Male-Pig-Projekt zur Produktion von nicht kastrierten männlichen Schweinen ins Leben gerufen wurde. Da das Fleisch von nicht kastrierten männlichen Schweinen die Gefahr mit sich bringt, beim Erhitzen den zwar gesundheitlich unbedenklichen, von Verbrauchern aber teilweise als sehr beeinträchtigend empfundenen sog. starken Geschlechtsgeruch zu entwickeln, wurde in Dänemark durch die dortige Forschung eine Methode entwickelt, mit der im Rahmen der Schlachtung festgestellt werden soll, ob das Fleisch der geschlachteten Schweine den starken Geschlechtsgeruch aufweist. Bei dieser als Massenverfahren kostengünstig einsetzbaren Methode wird der Skatolgehalt geprüft, um so geruchsbelastetes Fleisch schon während des Schlachtvorgangs auszusortieren. Bei Skatol handelt es sich um ein im Darm gebildetes Abbauprodukt des Verdauungsprozesses, welches sich auch im Gewebe einlagert und nach dänischer Auffassung für den starken Geschlechtsgeruch verantwortlich ist. Demgegenüber wird in Deutschland - im vorliegenden Rechtsstreit auch durch die Beklagte - unter Berufung auf Forschungen von Prof. D. die Auffassung vertreten, der starke Geschlechtsgeruch werde durch das männliche Hormon Androstenon verursacht, weshalb die Skatolmethode zur Feststellung des starken Geschlechtsgeruchs ungeeignet sei. Relevant sei vielmehr der Androstenonwert, wobei bei Überschreitung bestimmter Werte von einer Geruchsbelastung auszugehen sei. Die Einzelheiten zum Ursprung des starken Geschlechtsgeruchs sind wissenschaftlich umstritten und zwischen den Parteien streitig ebenso wie die Frage, mit welchen Testverfahren sich dazu Feststellungen treffen lassen.
In Dänemark wurden im Rahmen des Male-Pig-Projekt's unter zentraler Steuerung durch die Klägerin und die Schlachthofgesellschaften die erforderlichen Maßnahmen getroffen, um den dänischen Schweinezüchtern die Aufzucht von nicht kastrierten männlichen Schweinen zu ermöglichen. Dabei wurden insb. unter erheblichen Investitionen in den Schlachthöfen in sämtlichen Schlachtlinien Skatolmesseinrichtungen installiert, um geruchsbelastetes Fleisch feststellen zu können. Die Umstellung auf die Aufzucht und die Schlachtung von nicht kastrierten männlichen Schweinen erfolgte vor dem Hintergrund des Europäischen Gemeinschaftsrechts, welches hinsichtlich der hier interessierenden Fragen in Form der Veterinärkontrollrichtlinie (89/662/EWG) und der Frischfleischrichtlinie (91/497/EWG mit einer Neufassung der Richtlinie 64/433/EWG) seinen Ausdruck gefunden hatte. Im Zusammenspiel dieser beiden Richtlinien war die gemeinschaftsrechtliche Rechtslage ab dem 1.1.1993 - kurz zusammengefasst - so, dass veterinärrechtliche Kontrollen von für den ...